DGUV Information 204-022 - Erste Hilfe im Betrieb

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Abschnitt 6.4 - 6.4 Abweichen von der festgelegten Zahl

Eine Reduzierung der Anzahl an Ersthelfern oder Ersthelferinnen darf nur mit Zustimmung und im Einvernehmen mit dem zuständigen Unfallversicherungsträger erfolgen und die Herabsetzung nicht zum Nachteil der Verletzten oder Erkrankten führen.

Rechtsgrundlagen:
§ 26 Abs. 1 der DGUV Vorschrift 1 "Grundsätze der Prävention"

Von der vorgeschriebenen Zahl der Ersthelfer oder Ersthelferinnen kann nur abgewichen werden, wenn das betriebliche Rettungswesen hinsichtlich personeller, materieller und organisatorischer Mindestmaßnahmen über die Anforderungen der DGUV Vorschrift 1 hinausgeht. Neben einem gut durchorganisierten betrieblichen Rettungswesen ist für die Herabsetzung der Zahl der Ersthelfer oder Ersthelferinnen ein geringeres Gefährdungspotenzial Voraussetzung.

6.4.1 Organisation des betrieblichen Rettungswesens

Folgende Umstände sind zu bedenken, wenn von der Mindestzahl abgewichen werden soll. Bei einer primären Störung des Herzens, z. B. bei einem Herzkammerflimmern ausgelöst durch einen Herzinfarkt, sinkt die Überlebenschance um ca. 10 % je Minute. Bereits nach drei bis fünf Minuten beginnen die Gehirnzellen abzusterben.

Je eher eingegriffen wird, desto größer ist die Chance

  • des Überlebens,

  • der vollständigen Wiederherstellung,

  • eines Heilverlaufes ohne Komplikationen.

Je eher Erste Hilfe geleistet wird, desto kürzer können auch die Dauer des Krankenhausaufenthaltes und umso niedriger die Kosten der Heilbehandlung sowie ggf. der Rentenleistungen sein.

Rettungschancen nach Eintritt einer hochgradigen Störung oder nach Aussetzen einer Lebensfunktion in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Erste-Hilfe-Leistung

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Überlebenswahrscheinlichkeit bei Herzkammerflimmern in Abhängigkeit von der Zeit bis zur Defibrillation (geglättet; nicht lineare Funktion)

Da bei einem Notfall Sekunden entscheidend sein können, darf im Rahmen der Reduzierung auf Ersthelfer oder Ersthelferinnen nur insoweit verzichtet werden, als ihre Aufgaben durch mobile betriebseigene Rettungseinheiten übernommen werden können. Bei der Versorgung von Notfallpatienten bzw. -patientinnen darf kein zeitliches Vakuum entstehen. Folgende Fragen müssen beantwortet sein:

Wie viel Zeit vergeht, bis

  • der oder die Notfallpatient bzw. -patientin aufgefunden wird,

  • die zu meldenden Umstände festgestellt sind,

  • die Alarmanlage betätigt und der Notruf abgesetzt ist,

  • der Befehl zum Ausrücken erteilt sowie umgesetzt ist und

  • der Notfallort durch die Rettungseinheit erreicht ist?

Setzt man für jeden dieser Vorgänge eine Minute an, so hätte eine Person mit einem Kreislaufstillstand kaum eine Überlebenschance, wenn nicht bereits vor Eintreffen der Rettungseinheit ein Ersthelfer oder eine Ersthelferin Entscheidendes geleistet hätte.

Eine wirksamere Organisation des betrieblichen Rettungswesens lässt sich insbesondere erreichen, wenn

  • alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen fortlaufend auf die Unfallgefahren und die notwendigen Maßnahmen bei einem Unfall hingewiesen werden,

  • von allen Notfallorten aus schnell erreichbare Meldeanlagen geschaffen werden,

  • jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin die Fähigkeit vermittelt wird, einen Notruf richtig abzusetzen,

  • die Ersthelfer und Ersthelferinnen schwerpunktmäßig positioniert werden,

  • sie selbst und ihre Arbeitsplätze durch Kennzeichnung bekannt gemacht werden,

  • Betriebssanitäter oder -sanitäterinnen nicht nur in der Ambulanz, sondern auch im Betrieb wie die Ersthelfer oder Ersthelferinnen verteilt zur Verfügung gestellt werden,

  • qualifizierte mobile Rettungseinheiten des betrieblichen Rettungsdienstes sofort einsatzbereit zur Verfügung gestellt werden,

  • alle Notrufe zentral erfasst und die Einsätze der Rettungseinheiten zentral gesteuert werden,

  • die Rettungseinheiten am Notfallort gezielt eingewiesen werden,

  • Notfälle nachbesprochen werden.

Die Herabsetzung der vorgeschriebenen Anzahl an Ersthelfern oder Ersthelferinnen darf nie zum Nachteil der Verletzten gereichen.

Eine Herabsetzung der Zahl kann zusätzlich damit begründet sein, dass eine Versorgung der Verletzten in der werkseigenen Ambulanz erfolgt. Bei leichten Verletzungen, die unterhalb der Schwelle lebensbedrohlicher Störungen liegen, brauchen Versicherte nicht durch den Ersthelfer oder die Ersthelferin an Ort und Stelle versorgt zu werden, vielmehr kann ohne Gefahr die werkseigene Ambulanz aufgesucht werden. Es muss lediglich sichergestellt sein, dass sich alle in Betracht kommenden Verletzten in der Ambulanz versorgen lassen.

6.4.2 Gefährdung

Neben einem gut durchorganisierten betrieblichen Rettungswesen ist für die Herabsetzung der Zahl der Ersthelfer oder Ersthelferinnen ein geringes Gefährdungspotenzial Voraussetzung.

Dabei sind zwei Gesichtspunkte zu berücksichtigen:

  • die Belastung des Betriebes mit Unfällen nach Zahl und Schwere allgemein

  • das Vorhandensein von Gefahrenpunkten in den einzelnen Betriebsbereichen

Die Belastung des Betriebes spiegelt sich in den feststellbaren Unfallquoten wider. Möglichen Unfallschwerpunkten oder auch Tätigkeiten, die von einzelnen oder kleinen Gruppen Versicherter an abgelegenen Stellen oder außerhalb des Betriebes durchgeführt werden, muss besondere Beachtung geschenkt werden.

Generell sollte die Herabsetzung in Produktions- oder Handwerksbetrieben nicht zu einer geringeren Anzahl an Ersthelfern oder Ersthelferinnen als 5 % der anwesenden Beschäftigten führen. Werden z. B. in einem Raum 100 Versicherte beschäftigt, so sollten mindestens fünf Ersthelfer oder Ersthelferinnen anwesend sein. Ist dagegen ein Betrieb unübersichtlich in mehrere Stockwerke und Räume gegliedert, so dürften 5 % nicht ausreichen. Damit es keine Betriebe erster und zweiter Klasse gibt, muss überall dafür gesorgt sein, dass bei einem Unfall ein Ersthelfer oder eine Ersthelferin sofort zur Verfügung steht. Es darf keine Qualitätsabstufungen in der Ersten Hilfe geben.

In Bürobereichen, bei denen die Mindestquote für die Zahl anwesender Ersthelfer oder Ersthelferinnen bereits nach § 26 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a) der DGUV Vorschrift 1 "Grundsätze der Prävention" nur 5 % beträgt, ist das geringe Gefährdungspotenzial, d. h. die geringe Unfallhäufigkeit bereits berücksichtigt, sodass eine Herabsetzung der vorgeschriebenen Zahl nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. So ist es denkbar, dass die Zahl der Ersthelfer oder Ersthelferinnen in einem Großraumbüro mit 100 Personen von 5 % auf 3 % im Einvernehmen mit dem Unfallversicherungsträger herabgesetzt werden kann, wenn der Raum äußerst übersichtlich und die Anwesenheit von drei Ersthelfern oder Ersthelferinnen gesichert ist.

6.4.3 Verfahren

Die Verantwortung für die Festlegung einer von der Forderung der Unfallverhütungsvorschrift abweichenden Zahl der Ersthelfer und Ersthelferinnen trägt der Unternehmer oder die Unternehmerin.

Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe e) und Nr. 4 Arbeitssicherheitsgesetz hat der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin den Unternehmer oder die Unternehmerin bei der Organisation der Ersten Hilfe im Betrieb zu beraten und bei der Einsatzplanung und Schulung der Helfer in Erster Hilfe mitzuwirken.

Kommt der Unternehmer bzw. die Unternehmerin zu dem Ergebnis, dass eine Herabsetzung der Zahl der Ersthelfer oder Ersthelferinnen zu verantworten ist, so genügt es, dass er oder sie sich mit dem für den Betrieb zuständigen Unfallversicherungsträger ins Benehmen setzt und das Einvernehmen mit dem zuständigen Unfallversicherungsträger nach § 26 Abs. 1 DGUV Vorschrift 1 einholt. Eine förmliche Ausnahmegenehmigung im Sinne von § 14 Abs. 1 der DGUV Vorschrift 1 "Grundsätze der Prävention" sieht die Vorschrift nicht vor.