DGUV Information 204-022 - Erste Hilfe im Betrieb

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Abschnitt 3.4 - 3.4 Verletzung von Unternehmerpflichten

Im Fall, dass einzelne dem Unternehmer bzw. der Unternehmerin obliegenden oder auferlegten Pflichten nicht oder schlecht erfüllt werden, hat der Unternehmer bzw. die Unternehmerin oder die verantwortliche Person mit abgestuften Rechtsfolgen zu rechnen. Diese können unter anderem in der Anwendung von Verwaltungszwang nach den Vollstreckungsgesetzen von Bund und Ländern, in der Verhängung einer Geldbuße bei Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit, in einer strafrechtlichen Verfolgung, wenn zum Beispiel Versicherte wegen fehlender Erste-Hilfe-Einrichtungen nicht oder unzureichend versorgt und dadurch zusätzlich gesundheitlich geschädigt oder sogar getötet werden können, sowie in einer Regressmaßnahme wegen erbrachter Sozialleistungen bestehen. Die vom Unfallversicherungsträger bevorzugte Maßnahme bei Verletzung der Unternehmerpflichten ist die Ahndung des Verstoßes durch Auferlegung eines Bußgeldes. Nach § 209 Abs. 3 Sozialgesetzbuch VII kann eine Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zur Höhe von EURO 10 000,- geahndet werden. Nach § 209 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 Sozialgesetzbuch VII handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer Unfallverhütungsvorschrift, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand bußgeldbewehrt ist, oder einer vollstreckbaren Anordnung nach § 19 Abs. 1 Satz 2 oder § 19 Abs. 2 Sozialgesetzbuch VII zuwiderhandelt. Der Tatbestand einer Zuwiderhandlung gegen die DGUV Vorschrift 1 "Grundsätze der Prävention" ist insbesondere gegeben, wenn ein Unternehmer bzw. eine Unternehmerin oder eine verantwortliche Person fahrlässig oder vorsätzlich eine sich aus § 2 Abs. 5, § 12 Abs. 2, § 24 Abs. 6, § 25 Abs. 1, 4 Nr.1 oder 3, § 26 Abs. 1 Satz 1 oder Absatz 2 Satz 1, § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 3, Absatz 3 ergebende Pflicht verletzt. Diese Bestimmungen sind durch § 32 der DGUV Vorschrift 1 "Grundsätze der Prävention" bußgeldbewehrt.

Lehnt es z. B. ein Unternehmer oder eine Unternehmerin beharrlich ab, einen Erste-Hilfe-Raum für den 1 500 Versicherte beschäftigenden Betrieb einzurichten, unter Hinweis darauf, dass in Schichten gearbeitet werde und in keiner Schicht mehr als 600 Beschäftigte anwesend seien und damit der Schwellenwert von 1 000 Beschäftigten nicht überschritten werde, oder lässt ein Unternehmer oder eine Unternehmerin keine Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen in der Ersten Hilfe ausbilden unter Berufung darauf, dass dies nicht notwendig sei, weil eine Rettungswache des öffentlichen Rettungsdienstes in der Nähe liege, so würden er oder sie § 25 Abs. 4 bzw. § 26 Abs. 1 der DGUV Vorschrift 1 "Grundsätze der Prävention" zuwiderhandeln und den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach § 32 dieser Unfallverhütungsvorschrift und somit die Voraussetzungen für die Verhängung eines Bußgeldes erfüllen.

Der Unfallversicherungsträger, vertreten durch seine Aufsichtsperson im Sinne von § 18 Sozialgesetzbuch VII, wird jedoch trotz Verletzung einer konkret formulierten Pflicht nicht sogleich ein Bußgeld verhängen, sondern zunächst eine Anordnung nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch VII treffen und dem Unternehmer oder der Unternehmerin eine angemessene Frist zur Erfüllung seiner/ihrer Verpflichtung setzen, zum Beispiel wenn Ersthelfer oder Ersthelferinnen in der nach § 26 Abs. 1 der DGUV Vorschrift 1 "Grundsätze der Prävention" vorgesehenen Anzahl nicht bestellt wurden, weil die Auffassung besteht, das sei wegen der beschäftigten Halbtagskräfte und Aushilfen sowie wegen des mangelnden Interesses der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht zumutbar. Kommt das Unternehmen der Anordnung nicht fristgemäß nach, so kann der Unfallversicherungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen wegen der dann vorliegenden Ordnungswidrigkeit ein Bußgeld nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 Sozialgesetzbuch VII verhängen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Anordnung vollziehbar, d. h. unanfechtbar geworden ist.

Eine vollziehbare Anordnung kommt nicht nur zur Durchsetzung der in der DGUV Vorschrift 1 "Grundsätze der Prävention" konkret enthaltenen Forderungen an den Unternehmer bzw. die Unternehmerin in Betracht, sondern auch dann, wenn es um die Umsetzung einer allgemein formulierten Verpflichtung geht, die erst im Zusammenhang mit den betrieblichen Verhältnissen ihre Bestimmtheit erlangen kann. Durch eine Anordnung nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch VII können nicht bußgeldbewehrte allgemein formulierte Tatbestände zu bestimmten Forderungen ausgestaltet werden. Nach § 25 Abs. 2 der DGUV Vorschrift 1 "Grundsätze der Prävention" ist der Unternehmer oder die Unternehmerin verpflichtet, Erste-Hilfe-Material vorzuhalten. Dazu gehören nicht nur das in Verbandkästen enthaltene übliche Erste-Hilfe-Material, sondern auch bestimmte lebensrettende Medikamente (z. B. Antidote). Müssen solche wegen einer bestehenden Vergiftungsgefahr bereitgehalten und muss für eine entsprechende Weiterbildung von geeigneten Ersthelfern bzw. Ersthelferinnen oder Betriebssanitätern bzw. -sanitäterinnen gesorgt werden, so kann der Unfallversicherungsträger das Unternehmen durch eine vollziehbare Anordnung verpflichten, für entsprechende Abhilfe zu sorgen. Wird dieser Anordnung nicht nachgekommen, so ist Raum für ein Bußgeld nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 Sozialgesetzbuch VII.

§ 19 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch VII gibt dem Unfallversicherungsträger auch die Möglichkeit, eine vollziehbare Anordnung zur Abwendung besonderer Unfall- und Gesundheitsgefahren, d. h. solcher Gefahren, die nicht oder nicht hinreichend durch die Unfallverhütungsvorschrift geregelt sind, zu erlassen. Besteht zum Beispiel die Gefahr, dass Notfallpatienten bzw. -patientinnen vom bodengebundenen Rettungsdienst nicht rechtzeitig erreicht werden können und der Rettungshubschrauber nicht gefahrlos landen kann, um diese zu erreichen, kann die Notwendigkeit bestehen, eine Landestelle für Rettungshubschrauber anzulegen. In diesem Fall ist Raum für eine entsprechende Anordnung durch die zuständige Aufsichtsperson des Unfallversicherungsträgers, auch wenn die DGUV Vorschrift 1 "Grundsätze der Prävention" keine derartige Verpflichtung für den Unternehmer bzw. die Unternehmerin enthält.

Eine Ordnungswidrigkeit liegt weiterhin vor, wenn gegen eine sofort vollziehbare Anordnung verstoßen wird, die von der Aufsichtsperson gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch VII bei Gefahr im Verzug zur Abwendung einer Unfallgefahr getroffen worden ist.

Gefahr ist im Verzug, wenn der Eintritt einer Körperverletzung oder des Todes von Versicherten zwar nicht gewiss, aber wahrscheinlich ist, d. h., eine Sachlage vorliegt, die bei ungehindertem Ablauf des zu erwartenden Geschehens wahrscheinlich zu einer nicht unerheblichen körperlichen Beeinträchtigung führt. Die Anordnung muss auf die Beseitigung der Unfallgefahr zielen und darf nur die zur akuten Gefahrenabwehr notwendigen Mittel verlangen. Eine derartige Anordnung im Bereich der Ersten Hilfe dürfte eine Ausnahme sein, da die Gefahrenabwehr in erster Linie auf die Beseitigung der Ursachen für den Eintritt bestimmter Unfälle gerichtet ist. Erste Hilfe bezieht sich zwar auf die Zeit nach Eintritt des Unfalls; da sie aber auch den Zweck hat, weitere Schäden zu verhindern, dient sie ebenfalls der Gefahrenabwehr. Die Gefahr kann zum Beispiel im Verzug sein, wenn ein Unternehmer bzw. eine Unternehmerin unter Hinweis auf die Verpflichtung ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, in ihren auf dem betrieblichen Parkplatz abgestellten Kraftfahrzeugen gefüllte Verbandkästen mitzuführen, es unterlassen, im Betrieb Erste-Hilfe-Material bereit zu halten. Ob hier eine Anordnung nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch VII genügt oder der sofortige Vollzug nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch VII angeordnet werden muss, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Es ist davon auszugehen, dass offene Wunden infolge von Unfällen immer wieder auftreten; auch wenn die Verletzungen als geringfügig erscheinen, müssen sie durch Verbandmittel zur Vermeidung von zusätzlichen Infektionen geschützt werden. Eine sofort vollziehbare Anordnung könnte auch angezeigt sein, wenn eine bestimmte Unfallgefahr nicht allein durch technische Schutzmaßnahmen beseitigt werden kann und es bei Eintritt eines Unfalles darauf ankommt, dass Verletzte nur durch Einsatz einer bestimmten Erste-Hilfe-Maßnahme vor weiterem schweren Schaden bewahrt werden können. Zu denken ist zum Beispiel an Flusssäureverätzungen oder Cyanwasserstoffvergiftungen, die nur erfolgreich behandelt werden können, wenn ein entsprechendes Gegenmittel (Antidot) vor Ort verfügbar ist und sofort angewendet werden kann. In diesen Fällen muss unbedingt Vorsorge getroffen werden, auch wenn die Schädigung nicht unbedingt bevorsteht - was im Übrigen nicht Voraussetzung für die sofort vollziehbare Anordnung ist. Im Falle der Nichterfüllung ist wiederum der Weg nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 Sozialgesetzbuch VII frei.

Die entsprechenden Befugnisse der staatlichen Arbeitsschutzbehörden sind in den §§ 22 Abs. 3 und § 25 Arbeitsschutzgesetz geregelt.