DGUV Information 203-008 - Erste Hilfe bei erhöhter Einwirkung ionisierender Strahlen

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Abschnitt 3.2 - 3.2 Besondere Maßnahmen

Ungeachtet der im Folgenden beschriebenen Maßnahmen sind die Vorschriften der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) und der Röntgenverordnung (RöV) sowie der Richtlinie "Arbeitsmedizinische Vorsorge beruflich strahlenexponierter Personen durch ermächtigte Ärzte bzw. Ärztinnen" in der jeweils gültigen Fassung zu beachten.

3.2.1
Äußere Strahleneinwirkung

Bei einer effektiven Dosis über 100 mSv oder einer Hautkörperdosis über 1,2 Sv sollte Verbindung mit dem Regionalen Strahlenschutzzentrum aufgenommen werden.

3.2.1.1
Ganzkörperbestrahlung

Der Zeitpunkt der Strahleneinwirkung, des Auftretens der Frühsymptome sowie des Beginns jeder Ersten Hilfe bzw. ärztlichen Maßnahme sind aufzuzeichnen. Je früher Symptome einer Strahlenschädigung auftreten, desto höher ist in der Regel die erhaltene Strahlendosis (s. Tabelle 1).

Tabelle 1: Symptomatik nach erhöhter Ganzkörperbestrahlung

FrühsymptomeStrahlenbelastung (Einzeldosis)Erste Hilfe durch Ersthelfer/ErsthelferinnenErste ärztliche Hilfe
keine0,03 - 0,1 SvkeineStrahlenschutzarzt/Strahlenschutzärztin verständigen (medizinische Dokumentation)
keine0,1- 1 SvkeineEingehende Anamnese- und Befunderhebung; sofort Verbindung mit Regionalem Strahlenschutzzentrum aufnehmen; zur Bereitstellung für Regionales Strahlenschutzzentrum i. V. Blutentnahme für Blutstatus und Blutchemie (20 ml ungerinnbar durch EDTA); Blutentnahme für Chromosomenanalyse gemäß Anweisung des Regionalen Strahlenschutzzentrums
gelegentlich Strahlenkater, Übelkeit und Erbrechen1- 2 Svgegebenenfalls Lagerung, Beruhigungwie vorstehend + Schocktherapie
Übelkeit, Erbrechen oft schon nach Minuten, Hautrötung2 - 5 SvLagerung, Beruhigung, wärmende Bedeckungwie vorstehend + HLA-Typisierung; eventuell Befundänderungen mit Zeitangabe schriftlich festhalten; direkte Einweisung in Spezialabteilung nur durch Vermittlung des Regionalen Strahlenschutzzentrums
Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Kreislaufschwäche, Schock, Hautveränderungen> 5 Svwie vorstehendwie vorstehend

3.2.1.2
Teilkörperbestrahlung

Wurden nur einzelne Körperteile bestrahlt, können als unmittelbare Folge - je nach Höhe der Dosis - Hautveränderungen, von einer Hautrötung bis zu schweren Verbrennungserscheinungen, auftreten.

Hinzu können Symptome einer Ganzkörperbestrahlung kommen.

Die bestrahlten Körperteile sind nach Entfernen der Kleidung, soweit eine Hautschädigung erkennbar ist, steril abzudecken (z. B. durch Brandwunden-Verbandpäckchen oder Brandwunden-Verbandtuch). Im Übrigen ist wie bei der Ganzkörperbestrahlung zu verfahren.

3.2.2
Strahleneinwirkung durch Kontamination

3.2.2.1
Maßnahmen

Grundlage für alle Maßnahmen bei Personenkontamination sind die betriebs- bzw. arbeitsplatzspezifischen Dekontaminationsanweisungen. In jedem Fall ist bei Verdacht auf Kontamination sofortiges Benachrichtigen des Strahlenschutzes notwendig. Bei Verdacht auf zusätzliche Inkorporation müssen sofort vom Strahlenschutz festgelegte Maßnahmen, z. B. Schnäuzen in Papiertuch und Ausmessen, eingeleitet werden; der ermächtigte Arzt bzw. die ermächtigte Ärztin ist hinzuzuziehen.

Die weitere Ausbreitung der Aktivität am Körper der betroffenen Person oder die Verschleppung in die Umgebung ist zu vermeiden. Kontaminierte Kleidung ist - z. B. in Plastiksäcken - im Dekontaminationsbereich abzulegen. Zur Personendekontamination wird wie folgt vorgegangen:

  1. 1.

    Es ist darauf zu achten, dass bei allen Maßnahmen keine weiteren Hautpartien der betroffenen Person kontaminiert werden und auch keine staubförmige Kontamination in die Luft gelangt. Der Helfer bzw. die Helferin hat gegebenenfalls entsprechende Schutzkleidung, z. B. Handschuhe, Schutzanzug zu tragen.

  2. 2.

    Für kontaminierte Kleidung sowie feste und flüssige radioaktive Abfälle sind geeignete und gekennzeichnete Behältnisse bereitzustellen.

Für die Dekontamination müssen einfache und überall durchführbare Dekontaminationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die unverzüglich einsetzbar sind. Rasche Dekontaminationsmaßnahmen haben gegebenenfalls Vorrang gegenüber der Feststellung der Höhe der Hautkontamination durch Aktivitätsmessungen.

Die umgehende Anwendung von lauwarmem Wasser, speziellen Seifen, bzw. Waschlotion, gegebenenfalls unter Benutzung von weichen Handbürsten, führt normalerweise zu einer raschen Beseitigung der Kontamination.

Geringe Kontaminationen lassen sich meist schon im ersten Waschgang mit Wasser entfernen. Die Haut ist möglichst nur an den kontaminierten Stellen mit lauwarmem Wasser zu reinigen, z. B. an der Hand die Handinnenfläche.

Der Waschvorgang ist nach etwa zwei Minuten zu beenden, danach ist die Haut mit saugfähigem Material vorsichtig zu trocknen. Bei einer verbleibenden Kontamination wird wie nachstehend beschrieben verfahren.

Entscheidend für das Eindringen der Kontamination durch die Haut sind sowohl die Aktivitätskonzentration einer kontaminierenden Flüssigkeit als auch deren Einwirkungsdauer. Es ist daher mit der Dekontamination so schnell wie möglich zu beginnen.

Es muss beachtet werden, dass geringe, auf Eindringen durch die unverletzte Haut beruhende, Inkorporation durch Waschmaßnahmen begünstigt werden kann. Bei sofortiger Entfernung der Kontamination durch Waschen, spielt diese Inkorporation nur eine untergeordnete Rolle. Auch die häufig befürchtete Sekundärkontamination angrenzender Hautpartien durch Waschvorgänge ist in der Praxis weitgehend vernachlässigbar, da bei Verwendung von genügend Wasser die Konzentration der Radionuklide erheblich vermindert wird und die Einwirkungszeit kurz ist.

Bei Radionukliden in speziellen chemischen Verbindungen bzw. Zubereitungen, kann es erforderlich sein, spezifische Dekontaminationsverfahren vorzusehen, wenn damit ein besserer Dekontaminationseffekt und eine Verringerung der Hautdurchdringung erreicht werden können.

Organische Lösungsmittel dürfen nicht zur Anwendung kommen. Auch Dekontaminationsschaum für Materialoberflächen ist wegen der damit verbundenen Hautreizung nicht geeignet.

3.2.2.2
Dekontamination der Haare

Bei kontaminierten Haaren sind diese an einem geeigneten Haarwaschbecken bei nach hinten geneigtem Kopf von einer helfenden Person, die Handschuhe trägt, mit einem Waschpräparat zu waschen. Anschließend ist mit reichlich Wasser nachzuspülen. Bei der Haarwäsche ist sorgfältig darauf zu achten, dass kein kontaminiertes Wasser in das Gesicht, die Augen oder die Ohren gelangt. Vor dem Trocknen ist eine Kontrollmessung mit einem Kontaminationsmonitor durchzuführen. Nur wenn das Kürzen der Haare gegenüber dem Waschen klare Vorteile bietet, sollte diese Maßnahme mit der betroffenen Person vereinbart werden.

3.2.2.3
Dekontamination von Augen, Mund, Nase und Ohren

Bei dieser Kontamination ist fachgerecht mit reichlich Wasser zu spülen. Weitergehende Maßnahmen sind der ärztlichen Entscheidung vorbehalten. Bei Kontamination des Mundes, des Nasenrachenraumes und des Gehörganges ist ein ermächtigter Arzt bzw. eine ermächtigte Ärztin, sofern notwendig zusätzlich HNO-Arzt bzw. HNO-Ärztin, hinzuzuziehen. Der Mund ist zur Dekontamination mit reichlich Wasser auszuspülen. Eine Kontamination der Nasenhöhlen kann durch Schnäuzen verringert werden. Grundsätzlich ist bei Kontaminationen von Mund, Nase und Ohren an die Möglichkeit einer Inkorporation zu denken. Spülflüssigkeit und Sekret sind zur Messung aufzubewahren.

3.2.2.4
Dekontamination von Hautfalten, Nagelfalzen und Fingernägeln

Wird bei den Hautfalten, im Nagelfalz oder unter den Fingernägeln Kontamination nachgewiesen, ist diese gezielt zu entfernen. Hierfür sind einfache Instrumente, wie Nagelreiniger, weiche Bürsten oder Klebestreifen geeignet.

3.2.2.5
Ganzkörperdekontamination

Die folgenden Maßnahmen der Ganzkörperdekontamination sind nur angebracht, wenn die Kontamination tatsächlich weitgehend den ganzen Körper erfasst. Die gesamte Kleidung ist zu entfernen, es ist ohne Verzögerung lauwarm zu duschen und mit milder Seife gründlich zu waschen. Das weitere Vorgehen ist wie bei der oben beschriebenen Teilkörperdekontamination durchzuführen.

3.2.2.6
Vorgehen bei verbleibender Kontamination

Falls der erste Dekontaminationsvorgang nicht zum Erfolg führt, ist die Dekontamination bis zu zwei Mal zu wiederholen und der jeweilige Dekontaminationseffekt zu messen. Ist der Dekontaminationseffekt kleiner als 10 % und die verbleibende flächenbezogene Aktivität geringer als 10 Becquerel pro Quadratzentimeter (gemittelt über 100 Quadratzentimeter bei einer überwiegend über die gesamte Fläche verteilten Kontamination), kann auf eine weitere Dekontamination verzichtet werden. Solange der Dekontaminationseffekt größer als 10 % ist und der Zustand der Haut es erlaubt, sind weitere Waschvorgänge angezeigt. Falls eine vorzeitige Beendigung der Dekontamination nach den vorstehend genannten Kriterien erforderlich ist und dennoch eine flächenbezogene Aktivität von mehr als 10 Becquerel pro Quadratzentimeter verbleibt, ist wie folgt vorzugehen:

Hinzuziehen des bzw. der Strahlenschutzbeauftragten und des ermächtigten Arztes bzw. der ermächtigten Ärztin, Abschätzen der Hautdosis, Entscheidung über weitere Dekontaminationsmaßnahmen, Anfertigung einer Aufzeichnung mit folgenden Angaben:

  • Name

  • Zeitpunkt der Kontamination und Dekontaminationsmaßnahmen

  • kontaminierter Körperteil

  • Fläche der Kontamination in Quadratzentimeter

  • Anfangs- und Restwert der flächenbezogenen Aktivität in Becquerel pro Quadratzentimeter

  • Nuklidzusammensetzung

  • verwendete Dekontaminationsmittel

  • resultierende Hautdosis

  • angeordnete Auflagen zur Freigabe

Nach beendeter Dekontamination sollten behandelte Hautpartien mit einer Hautschutzcreme gepflegt werden.

3.2.3
Aufnahme radioaktiver Stoffe in den Körper - Inkorporation

Die Aufnahme kann erfolgen durch

Einatmenvon in der Luft enthaltenen festen oder gasförmigen Verbindungen,
Eindringen durch die intakte oder geschädigte Hautvon gasförmigen Verbindungen, von gelösten Substanzen oder bei kontaminierten Wunden,
Verschluckenbei Nichtbeachten des Rauch-, Ess- oder Trinkverbotes im Kontrollbereich oder bei unvorschriftsmäßigem Pipettieren.

Zeitpunkt des Zwischenfalles, Inkorporationsweg, Art und chemische Verbindung des Radionuklids und Aktivitätsmenge sind sofort vom Strahlenschutz festzustellen. Ist die Inkorporation auf eine Kontamination des Körpers zurückzuführen, muss die Kontaminationsquelle festgestellt werden.

Das Eindringen durch die intakte Haut stellt im Vergleich zur gleichzeitig vorhandenen Kontamination eine vernachlässigbar geringe Gefährdung dar. Aus diesem Grund wird hier auf Abschnitt 3.2.2.1 verwiesen. Maßnahmen nach Eindringen in die geschädigte Haut sind unter Abschnitt 3.2.4 angegeben.

Soweit sich radioaktive Substanzen noch in Mund oder im Nasenrachenraum befinden können, sollte die betroffene Person dazu aufgefordert werden, abzuhusten, sich zu räuspern und in vorbereitete Behältnisse auszuspucken.

Nur bei Verschlucken soll der Ersthelfer bzw. die Ersthelferin für die Ausspülung des Mundes sorgen und Erbrechen anregen.

Der Genehmigungsinhaber bzw. die Genehmigungsinhaberin hat im Benehmen mit dem ermächtigten Arzt bzw. mit der ermächtigten Ärztin dafür Sorge zu tragen, dass im Betrieb die zur Dekorporation erforderlichen Medikamente vorrätig sind.

3.2.4
Kontaminierte Wunden

Jede Verletzung, bei der die Möglichkeit der Kontamination besteht, z. B. Umgang mit offenen radioaktiven Stoffen, muss wegen der erhöhten Inkorporationsgefahr als radioaktiv verunreinigt gelten, solange nicht durch Messung das Gegenteil festgestellt wurde.

Ersthelfer/ Ersthelferin

Bei kontaminierten Wunden sofortiges und intensives Spülen der Wunde unter fließendem Wasser. Bei Kontamination der weiteren Wundumgebung, Wunde mit wasserdichtem Pflasterverband abdecken. Nach Dekontamination der Umgebung Pflasterverband entfernen, sterilen Wundverband anlegen (Notverband) und ärztliche Versorgung veranlassen. Bei Wundkontamination mit hoher Aktivität radioaktiver Stoffe niedriger Freigrenze - insbesondere, wenn leichtlösliche Substanzen vorliegen - ist, wenn irgend möglich, das sofortige Anlegen einer wundnahen venösen Stauung (nicht abbinden) mittels Stauschlauch und Klemme angezeigt. Sofortige intensive Wundspülung, Anlegen eines sterilen Wundverbandes und sofortige ärztliche Versorgung unter Beibehaltung der Wundstauung sind zu veranlassen. An entsprechend exponierten Arbeitsplätzen ist ein weicher Stauschlauch mit Klemme sofort verfügbar bereit zu halten. Die Ersthelfer bzw. Ersthelferinnen sind entsprechend einzuweisen.

Arzt/Ärztin

Es sollte berücksichtigt werden, dass bei Kontaminationsschäden mit Wunden und Frakturen eine primäre Endversorgung anzustreben ist, während bei Verbrennungen abwartend gehandelt wird. Die vorstehend genannten Wunddekontaminationsmaßnahmen können auch mit physiologischer Kochsalzlösung oder mit dreiprozentiger Wasserstoffsuperoxid-Lösung unter wiederholter Wundaktivitätskontrollmessung fortgesetzt werden. Bei Verdacht auf Wundkontamination hoher Aktivität radioaktiver Stoffe niedriger Freigrenze ist zwecks Beratung Verbindung mit einem Regionalen Strahlenschutzzentrum aufzunehmen. Über weitere Maßnahmen, z.B. Wundrandexzision, medikamentöse Zusatzbehandlung, entscheidet der ermächtigte Arzt bzw. die ermächtigte Ärztin in Zusammenarbeit mit dem Regionalen Strahlenschutzzentrum.