DGUV Information 203-007 - Windenergieanlagen Handlungshilfe für die Gefährdungsbeurteilung im On- und Offshorebereich

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Abschnitt A6 - Gefährdungsbeurteilung

A6.1 Grundsätzliches

A6.1.1
Bedeutung und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung

Für Tätigkeiten an und in Windenergieanlagen muss die Unternehmerin bzw. der Unternehmer - unabhängig von der Zahl der Beschäftigten - Gefährdungen und Belastungen der eigenen Beschäftigten am Arbeitsplatz ermitteln und beurteilen, d. h. eine Gefährdungsbeurteilung erstellen und dokumentieren (vgl. u. a. Arbeitsschutzgesetz, Betriebssicherheitsverordnung, Gefahrstoffverordnung und DGUV Vorschrift 1 "Grundsätze der Prävention"). Dies sollte mit den Beschäftigten oder mit deren Vertretung erfolgen.

In einigen Verordnungen ist für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung eine besondere Fachkunde aufgenommen worden (z. B. Arbeitsstättenverordnung, Gefahrstoffverordnung, Lärm- und Vibrationsarbeitsschutzverordnung, Arbeitsschutzverordnung zu elektromagnetischen Feldern).

Die Unternehmerin bzw. der Unternehmer muss die bestellte Fachkraft für Arbeitssicherheit und die betreuende Betriebsärztin bzw. den betreuenden Betriebsarzt bei der Gefährdungsbeurteilung einbeziehen und ihnen Kenntnisse über die Arbeitsbedingungen ermöglichen.

Die Gefährdungsbeurteilung ist vor Aufnahme der Tätigkeiten durchzuführen und ist die geforderte systematische Ermittlung und Bewertung relevanter Gefährdungen für die Beschäftigten. Es werden dabei alle voraussehbaren Tätigkeiten und Arbeitsabläufe betrachtet.

Besondere Vorgaben hinsichtlich schutzbedürftiger Personengruppen (z. B. Jugendliche) sind zu beachten.

Ziel der Gefährdungsbeurteilung ist es, die erforderlichen Maßnahmen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit festzulegen.

Gefährdungen können beispielsweise auftreten durch technische Mängel (z. B. undichte Anlagenteile), durch organisatorische Mängel (z. B. fehlende Unterweisungen), durch Gefahrstoffe oder durch mangelhafte Arbeitsplatzgestaltung (z. B. Stolperstellen).

Die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung lässt sich in folgende Schritte gliedern:

  1. 1.

    Festlegen von Arbeitsbereichen und Tätigkeiten

  2. 2.

    Ermitteln der Gefährdungen

  3. 3.

    Beurteilen der Gefährdungen

  4. 4.

    Festlegen konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen nach dem Stand der Technik (bei diesem Schritt ist die Rangfolge der Schutzmaßnahmen nach § 4 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) zu beachten)

  5. 5.

    Durchführen der Maßnahmen

  6. 6.

    Überprüfen der Wirksamkeit der Maßnahmen

  7. 7.

    Fortschreiben der Gefährdungsbeurteilung (insbesondere Anpassung im Falle geänderter betrieblicher Gegebenheiten nach § 3 ArbSchG)

Die Unternehmerin bzw. der Unternehmer trägt im Ergebnis seiner Gefährdungsbeurteilung die Verantwortung für die der Sicherheit und der Gesundheit zuträglichen Arbeitsplatzverhältnisse.

Das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung für die personenbezogenen Anforderungen (Qualifizierung, Persönliche Schutzausrüstungen, ...) kann in Form einer Tabelle als Anforderungsmatrix für entsprechende Arbeitsbereiche übersichtlich dargestellt werden.

Sollen im Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung Persönliche Schutzausrüstungen gegen tödliche Gefahren ausgewählt werden, ist eine zusätzliche Gefährdungsbeurteilung für den jeweiligen Einzelfall durchzuführen.

Die Gefährdungsbeurteilung ist u. a. die Grundlage für

  • die Erstellung von Betriebsanweisungen

    A7 "Betriebsanweisungen",
  • die Inhalte der Unterweisungen

    A8 "Unterweisungen",
  • die Inhalte der arbeitsmedizinischen Vorsorge

    A10 "Betriebsärztliche Betreuung, Arbeitsmedizin"

    und

  • die Erstellung von Rettungskonzepten.

    A13 "Notfallorganisation, Erste Hilfe und Rettung"

Es empfiehlt sich, dem Arbeitsverantwortlichen einfache geeignete Möglichkeiten zu geben, mit denen er gemeinsam mit seinem Team unmittelbar vor Arbeitsbeginn prüfen kann, ob im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung alle Gefährdungen erkannt und geeignete Schutzmaßnahmen vorgeplant wurden, z. B.

  • ergänzende Gefährdungsbeurteilung vor Arbeitsbeginn,

  • LMRA ("last minute risk analysis"),

  • "Stopp vor Start".

ccc_1609_as_2.jpgHinweis
Für verschiedene überwachungsbedürftige Anlagen nach Betriebssicherheitsverordnung (z. B. bestimmte Druckbehälter) besteht für Betreiber die Verpflichtung eine Gefährdungsbeurteilung zu erstellen.
ccc_1609_as_3.jpg
Weitergehende grundsätzliche Informationen zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen (Gefährdungsbeurteilung) enthalten unter anderem diese Dokumente/Schriften
DGUV Regel 100-001 "Grundsätze der Prävention" (Abschnitt 2.2)
Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV)
Technische Regel für Betriebssicherheit (TRBS) 1111 "Gefährdungsbeurteilung und sicherheitstechnische Bewertung"
Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 400 "Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen"
Technische Regel für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA) 400 "Handlungsanleitung zur Gefährdungsbeurteilung und für die Unterrichtung der Beschäftigten bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen"
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ccc_1609_as_2.jpgHinweis für den Offshore-Bereich
Die Unternehmerin bzw. der Unternehmer ist gehalten, die Möglichkeit von Akuterkrankungen bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter außerhalb der unmittelbaren Arbeitstätigkeit in der eigenen Gefährdungsbeurteilung auch im Sinne der Ersten Hilfe und einer medizinischen Versorgung sowie der Notfallrettung und -evakuierung zu berücksichtigen.

A6.1.2
Informationsquellen und Einflussfaktoren

Basis für die Erstellung der Gefährdungsbeurteilung sind z. B. Informationen

  • von Herstellern (Anlagen- und Maschinendokumentationen) etwa in Form von Betriebshandbüchern (Sicherheitshinweise, verbleibende Risiken, ...) und Bedienungsanleitungen

  • aus weiteren Anlagendokumentationen, sowie Inspektions- und Wartungsanleitungen,

  • aus Sicherheitsdatenblättern,

  • aus vorhandenen Gefährdungsbeurteilungen,

  • aus bereits aufgestellten Rettungskonzepten und

  • aus dem Schutz- und Sicherheitskonzept (Offshore-Bereich)

Wesentlichen Einfluss auf Gefährdungen und Belastungen haben dabei - ggf. in Kombination - vor allem die Arbeitsumgebung, z. B.

  • Höhe der WEA,

  • höher/tiefer liegende Bereiche (Plattformen, Keller, Maschinenhausdach, ...),

  • beengte Verhältnisse (Nabe, Rotorblatt, ...),

  • Zugangssituationen

und die durchzuführenden Tätigkeiten, z. B.

  • Inspektion

  • Instandhaltung außerhalb/innerhalb enger Räume

  • elektrotechnische/nicht-elektrotechnische Arbeiten

  • Heiß-/Feuerarbeiten

  • Tausch von Komponenten mit besonderen Anforderungen an die Handhabung

Bei der Erstellung und Fortschreibung der Gefährdungsbeurteilung sind u. a. zu berücksichtigen:

  • Änderungen durch Arbeits- und Baufortschritt

  • Erkenntnisse aus der Wirksamkeitskontrolle

  • Erkenntnisse aus Unfällen/Beinaheunfällen und deren Untersuchung

  • Erkenntnisse aus der arbeitsmedizinischen Vorsorge, über Berufskrankheiten und über arbeitsbedingte Erkrankungen

  • Erkenntnisse aus ergänzender Gefährdungsbeurteilung vor Arbeitsbeginn, LMRA ("last minute risk analysis"), "Stopp vor Start" o. ä..

A6.1.3
Rangfolge der Schutzmaßnahmen

Bei der Auswahl von Schutzmaßnahmen nach der Rangfolge

  1. 0.

    Substitution (insbesondere im Zusammenhang mit Gefahrstoffen)

  2. 1.

    technische Maßnahmen

  3. 2.

    organisatorische Maßnahmen

  4. 3.

    personenbezogene/persönliche Maßnahmen

muss - insbesondere im Zusammenhang mit Gefahrstoffen - zunächst eine Substitution (Ersatz) geprüft werden, um eine Gefährdung vollständig zu vermeiden.

Ist eine Substitution nicht möglich, muss nach technischen Lösungen gesucht werden. Erst wenn diese nicht ausreichen oder ebenfalls nicht möglich sind kommen der Reihenfolge nach organisatorische und letztendlich auch persönliche/personenbezogene Schutzmaßnahmen in Frage ("S-T-O-P"- bzw. "T-O-P-Prinzip").

Besondere Hinweise zur Gefährdungsbeurteilung für Gefahrstoffe enthält B9 "Gefahrstoffe".

Der Einsatz persönlicher Schutzausrüstungen (PSA) ist daher erst nachrangig als Schutzmaßnahme auszuwählen.

A11 "Persönliche Schutzausrüstungen"

A6.1.4
Gefährliche Arbeiten

Verschiedene Arbeiten an und in WEA können gefährliche Arbeiten im Sinne der § 8 DGUV Vorschrift 1 sein. Hierzu gehören z. B. Arbeiten mit Absturzgefahr, Arbeiten mit Ertrinkungsgefahr, Arbeiten in engen Räumen, Heiß-/Schweißarbeiten sowie Hebezeugarbeiten bei fehlender Sicht des Kranführers auf die Last.

ccc_1609_as_5.jpgGefährliche Arbeiten sind solche, bei denen eine erhöhte Gefährdung aus dem Arbeitsverfahren, der Art der Tätigkeit, den verwendeten Stoffen oder aus der Umgebung gegeben ist, weil keine ausreichenden Schutzmaßnahmen durchgeführt werden können
Abschnitt 2.7.1 DGUV Regel 100-001 (in Erläuterung des § 8 der DGUV Vorschrift 1)

Gefährliche Arbeiten müssen durch fachlich geeignete Personen freigegeben, überwacht und beaufsichtigt werden. Die Verfahren sind schriftlich zu dokumentieren (z. B. Montageanweisungen, Erlaubnisscheine).

A6.1.5
Zusammenarbeit von Unternehmen und Auftragsvergabe

Häufig werden Arbeiten in Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen durchgeführt bzw. werden Fremdunternehmen beauftragt. In diesen Fällen obliegt die Verantwortung für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und Unterweisung in erster Linie demjenigen Unternehmen, welches die Tätigkeiten ausführt.

Erfolgt eine Beauftragung durch ein Unternehmen an ein Fremdunternehmen, so hat das Auftrag erteilende Unternehmen das Fremdunternehmen hinsichtlich der Gefährdungsbeurteilung zu unterstützen. Dabei hat der Auftraggeber die relevanten Informationen an den Auftragnehmer weiterzugeben.

A6.1.2 "Informationsquellen und Einflussfaktoren"
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DGUV Vorschrift 1 § 5 "Grundsätze der Prävention"
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Weiterhin werden durch DGUV Vorschrift 1 und DGUV Vorschriften 38 und 39 sowie durch die BaustellV eine Leitung, Aufsichtführung und ggf. eine Koordinierung der Arbeiten gefordert.

Die Einhaltung und Umsetzung der vorgenannten Maßnahmen sowie die Benennung der jeweiligen Verantwortlichen richtet sich nach den Inhalten (Bedingungen) der Auftragsvergabe.

Deshalb ist es wichtig, die organisatorischen Maßnahmen den jeweiligen Vertragsparteien verantwortlich zuzuordnen bzw. im Zuge der Auftragsvergabe schriftlich zu regeln.

A6.2
Auswertung des Unfallgeschehens in der Windenergie

A6.2.1
Einführung

Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV) stellt als Dachverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (BG) und der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand (UVTöH) die jährliche Statistik des meldepflichtigen Unfallgeschehens am betrieblichen Arbeitsplatz zusammen, veröffentlicht diese Ergebnisse (z. B. Standke 2014; Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, (DGUV) und übermittelt die Daten an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) sowie an das Europäische Amt für Statistik (z. B. EUROSTAT 2013). Die Statistiken des EUROSTAT (ESAW) und der DGUV definieren bzw. verwenden im Zusammenhang mit Unfallvorkommnissen am Arbeitsort verschiedene Variablen (Hauptmerkmale wie z. B. Angaben zu geographischem Unfallort und Unfallopfer, Art und Schwere der Verletzung, etc. ) sowie Abweichungen zu Ursachen und Begleitumständen von Unfällen. Zu den für eine Charakterisierung des Unfallgeschehens wichtigen wesentlichen Variablen und Abweichungen zählen u. a.

  1. i.

    die unmittelbar vor dem Unfall ausgeführten "Spezifischen Tätigkeiten" (z. B. Gehen und Laufen, Arbeit mit Handwerkszeug, Transport, Maschinenbedienung),

  2. ii.

    die "Abweichung vom normalen (unfallfreien) Verlauf" der Tätigkeit (abweichende Bewegungen, Kontrollverlust, Materialschaden),

  3. iii.

    der mit dem Unfallvorkommnis in Verbindung stehende physikalische "Gegenstand der Abweichung" (z. B. bauliche Anlagen, Handwerkszeuge, Werkstücke, Maschinenteile),

  4. iv.

    der mit dem physikalischen Gegenstand folgende "Kontakt" der Person und

  5. v.

    die daraus resultierende "Art der Verletzung".

Die Definitionen liefern in ihrer Gesamtheit eine Beschreibung, in welcher Art und Weise die Begleitumstände des Unfalls von den normalen Abläufen abwichen und wie die Kombination aller Faktoren zum Unfall und zur Verletzung der Person führten.

Bei den Abweichungen vom normalen Verlauf unmittelbar vor dem Unfall werden in o.g. Statistiken z. B. in Bezug auf die Bewegung der Person Kategorien wie "Ausgleiten", "Stolpern" und "Sturz" sowie "Absturz" gefasst. Hinzu kommt z. B. der Kontrollverlust über das "Werkstück", die "Maschine" oder das "Transportmittel". Zudem werden Abweichungen definiert, die z. B. infolge einer Fehlfunktion von Werkzeugen oder Maschinen sowie eines Materialschadens auf das "Reißen", "Brechen", "Bersten", "Rutschen" und "Fallen" von Gegenstände zurückzuführen sind und somit auf Unfallereignisse durch ein mechanisches Einwirken von außen auf die betreffende Person abheben. In Anlehnung an die oben erörterten Definitionen wurden im Rahmen von BG-nahen Forschungsarbeiten etwa 1100 Unfallvorkommnisse auf deutschen Onshore-Windenergieanlagen aus den Jahren 2007 bis 2009 sowie 190 Unfallereignisse auf deutschen Offshore-Windstrukturen der Jahre 2008 bis 2012 analysiert und ausgewertet.

Überdies kam es in den Betrachtungszeiträumen auch zu Todesfällen, die jedoch in diesem Zusammenhang nicht näher beleuchtet werden.

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Arbeitsergebnisse Forschungsprojekt ROW
(u. a. Abschlussbericht)
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A6.2.2
Übergreifende Hauptunfallarten

Den Auswertungen zufolge ist die prozentuale Verteilung der Hauptunfallarten in deutschen Onshore- und Offshore-Windstrukturen in den genannten Zeiträumen vergleichbar (Abbildung A6-2_1). Durch äußere mechanische Einwirkungen (z. B. "getroffen von" etc.) bedingte Unfälle treten dabei mit fast zwei Drittel am häufigsten auf, gefolgt von sogenannten SRS-Unfällen (Stolpern/Rutschen/Stürzen) mit etwa einem Viertel. Quantitativ nachrangig folgen mit niedrigen einstelligen Prozentzahlen Unfälle mit elektrischem Hintergrund, Tauchunfälle, Gefahrstoffunfälle, thermisch bedingte Unfälle sowie sonstige Unfälle.

Absturzunfälle liegen sowohl auf Onshore- als auch Offshore-Strukturen bei einem Anteil von unter zwei Prozent am Gesamtunfallgeschehen. Die niedrigen Prozentanteile von Absturzunfällen werden der ausgeprägten Sicherheits- und Sicherungsmentalität des auf Onshore- und Offshore-Windenergie Strukturen eingesetzten Personals sowie deren qualifiziertem und sicherem Umgang mit der persönlichen Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) zugeschrieben. Dieser positive Sachverhalt sollte auch in Zukunft in Ausbildungs- und Trainingsinhalten thematisiert sowie dessen nachhaltige Umsetzung durch entsprechende Hinweise zielgerichtet gefördert werden.

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Abb. A6-1
Übersichtsdarstellung der übergreifenden Hauptunfallarten in deutschen Onshore- und Offshore-Windstrukturen.

A6.2.3
Onshore Unfallgeschehen

Neben den übergreifenden Hauptunfallarten ergab die Auswertung der ca. 1100 Onshore-Unfallvorkommnisse aus Mitgliedsbetrieben der zuständigen Unfallversicherungsträger auch Schwerpunkte für Unfallorte, Bewegungen und spezifische Tätigkeiten zur Zeit des Unfallvorkommnisses, Verletzungsarten und verletzte Körperregionen.

Die Unfallorte lagen vorwiegend in folgenden Arbeitsumgebungen:

  • Maschinenhaus,

  • Außenbereich (z. B. Zuwegungen) und

  • Turm

Die o. g. Hauptunfallarten bilden sich quantitativ an nahezu allen Unfallorten ähnlich ab.

Die Unfälle standen vornehmlich mit folgenden Bewegungen, spezifischen Tätigkeiten und Arbeitsräumen in Zusammenhang:

  • Passage von Durchstieg,

  • Benutzen von Drehmomentschlüssel und

  • Aufenthalt in Spinner/Nabenkappe

Infolge der Unfälle traten überwiegend folgende Verletzungsarten auf:

  • Kontusionen (Quetschungen, Prellungen, etc.),

  • Distorsionen (Dehnung, Zerrung, Verrenkung, etc.) sowie

  • Schnitt- und Platzwunden

Die Verletzungen betrafen überwiegend folgende Körperregionen:

  • obere Extremitäten (insbesondere Hand),

  • untere Extremitäten und

  • Kopf

Einige der Unfall-Begleitumstände (Unfallorte und -arten) stellen sich Betriebs-übergreifend - und somit näherungsweise unabhängig von der Zahl der Unfallmeldung und der Betriebsgröße - in vergleichbaren quantitativen Größenordnungen dar. Generell kann derzeit auf Basis der zur Verfügung stehenden Datenlage von näherungsweise wiederkehrenden Unfallmustern in deutschen Onshore-WEA ausgegangen werden. Unabhängig von der hier gezeigten quantitativen Abstufung hat sich aus der Praxis erwiesen, dass insbesondere elektrische Unfallvorkommnisse und Absturzunfälle regelmäßig schwerwiegende gesundheitliche Folgen für die Betroffenen hatten.

A6.2.4
Offshore Unfallgeschehen

Analog zum Unfallgeschehen in Onshore-WEA wurden die Unfall-Begleitumstände (Unfallort, spezifische Tätigkeiten und Bewegungen, Arbeitsgeräte, Verletzungsarten, verletzte Körperregionen und -teile) in Offshore-Windstrukturen weiter ausdifferenziert.

Die Unfallorte lagen vorwiegend in folgenden Arbeitsbereichen:

  • Errichterschiff,

  • Windenergieanlage,

  • Schiff und

  • Umspannplattform

Die Verteilung der Unfallorte zeigt, dass sich die Unfallereignisse in deutschen Offshore-Windparks während des Betrachtungszeitraums vorwiegend in der Errichtungsphase (Bauphase) der Offshore-Strukturen ereigneten oder zumindest in Zeiträumen, in denen ein Errichterschiff vor Ort war und als wesentliche Arbeits- und Wohnplattform diente. Diese Datenlage kann sich in der zukünftigen Betriebsphase der Offshore-Windparks verändern und besitzt somit keine dauerhaft verlässliche (statistische) Aussagekraft.

Die Unfälle standen vornehmlich mit folgenden spezifischen Tätigkeiten und Bewegungen in Zusammenhang:

  • Ausführung von Handwerksarbeiten,

  • Durchführung von Versatz- und Verladearbeiten sowie

  • allgemeine Fortbewegung

Die spezifischen Tätigkeiten wurden überwiegend mit folgenden Arbeitsgeräten durchgeführt:

  • Anschlagmittel und Hebezeuge,

  • Schneid- und Handwerkzeuge sowie

  • Elektro- und Schraubwerkzeuge

Folgende Verletzungsarten standen bei den Unfällen im Vordergrund:

  • Kontusionen (Quetschungen, Prellungen, etc.),

  • Schnitt- und Platzwunden sowie

  • Distorsionen (Dehnung, Zerrung, Verrenkung, etc.)

Folgende Körperteile waren im Detail vornehmlich von Verletzungen betroffen:

  • Hand,

  • Auge und Kopf,

  • Unterschenkel und Fuß,

  • Oberschenkel und Knie sowie

  • Arm

A6.3
Wetter-, Meeres- und Umweltbedingungen (Onshore und Offshore)

Wetterlagen und Witterungen über Landgebieten (Onshore) sowie deren Veränderungen lassen sich auch regional weitgehend verlässlich und zeitgenau vorhersagen. Zudem sind Änderungen des Wetters über Land meist tagesaktuell gut zu beobachten und es kann zeitgerecht und adäquat im Arbeitsumfeld darauf reagiert werden.

Die Natur- und Umweltbedingungen über Meeresgebieten (Offshore; z. B. deutsche Nord- und Ostsee) können dagegen sehr intensiven, oftmals spontanen, täglichen oder gar stündlichen - und somit schwer vorhersagbaren - Veränderungen unterliegen. Die Bewältigung von Luft- und Schiffstransferwegen kann somit Offshore temporär erschwerten bis extremen Umweltbedingungen unterworfen sein.

Im Folgenden werden mögliche Umwelteinflüsse im Bereich von Onshore- und Offshore-Anlagen sowie für die mit Offshore-Strukturen in Verbindung stehenden Hubschrauber- und Schiffseinsätze dargestellt, die zu Belastungen und Gefährdungen des eingesetzten Personals führen können. Zudem werden die entsprechenden Maßnahmen zur Minimierung von Belastungen und Gefährdungen abgebildet.

Generell können bzw. sollen bei der nachfolgenden Betrachtung der Wetter-, Meeres- und Umweltbedingungen die aus diesen Kenngrößen resultierenden relevanten "Gefährdungen", die damit implizierten "Schutzziele" für das eingesetzte Personal sowie die abzuleitenden "Maßnahmen" berücksichtigt werden. Da jedoch der übergeordnete Endzweck von Schutzzielen immer die Minimierung von Belastungen und Gefährdungen ist (sogenanntes "Minimierungsgebot"), werden die Schutzziele bezüglich der einzelnen Wetter-, Meeres- und Umweltbedingungen an dieser Stelle nicht weiter ausdifferenziert bzw. spezifiziert.

Die Minimierung von Belastungen und Gefährdungen soll mit der Auswahl adäquater Maßnahmen erreicht werden. Insbesondere ist dabei zu beachten, dass bei Eintreten von Extremwetterlagen oder extremen Umweltbedingungen (z. B. Gewitter, sehr hohe oder sehr niedrige Lufttemperaturen sowie insbesondere die Kombination hoher Windgeschwindigkeiten mit niedrigen Temperaturen und/oder erhöhter Luftfeuchte, etc.) bereits prophylaktisch bzw. rechtzeitig vor Eintreten der jeweiligen Wetterlage Maßnahmen für die Nichtaufnahme, das Aussetzen bzw. das Einstellen der Arbeiten einzuleiten sind.

Kriterien hierfür sind im Offshore-Bereich im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu definieren. Sie müssen sich nicht nur an der direkten Gefährdung durch unmittelbare Auswirkungen auf Personen orientieren, sondern auch an der indirekten Gefährdung durch Auswirkungen auf die Rettungskette (Schiffs-/Hubschraubereinsatz nicht mehr möglich), je nachdem welche Auswirkungen zuerst eintreten.

ccc_1609_as_5.jpgBeschäftigt die Unternehmerin bzw. der Unternehmer Versicherte im Freien und bestehen infolge des Wettergeschehens Unfall- und Gesundheitsgefahren, so hat sie bzw. er geeignete Maßnahmen am Arbeitsplatz vorzusehen, geeignete organisatorische Schutzmaßnahmen zu treffen oder erforderlichenfalls persönliche Schutzausrüstungen zur Verfügung zu stellen.
(§ 23 DGUV Vorschrift 1 (vgl. dazu Abschnitt 4.5 der DGUV Regel 100-001))

Wind und Sturm

Gefährdungen

  • z. B. Wind, Wind-Böen, Sturm, Sturm-Böen, Windhose, Tornado, Nässe, Kälte

Maßnahmen

  • im Vorfeld von Arbeiten Wetterbericht einholen

  • entsprechende Schutzkleidung gegen Wind, Nässe und Kälte bereitstellen und benutzen

  • bei Extremwetterlagen auch Arbeitsteams in benachbarten WEA/Windparks informieren

  • Schutz- und Verhaltensmaßnahmen für Extremwetterlagen in Betriebsanweisungen festlegen und beachten (z. B.: Rechtzeitig - spätestens jedoch beim Erreichen der für die WEA kritischen Windgeschwindigkeit oder der für das Verlassen der Offshore-WEA kritischen Wellenhöhe - sind die Arbeiten einzustellen und Sicherungsmaßnahmen einzuleiten. Hierbei sind auch die Hersteller- und Betreiberangaben zu berücksichtigen.)

Gewitter

Gefährdungen

  • z. B. Sturm, Sturm-Böen, Blitz, Starkregen, Hagel, Kälte

Maßnahmen

  • im Vorfeld von Arbeiten Wetterbericht einholen

  • entsprechende Schutzkleidung gegen Wind, Nässe und Kälte bereitstellen und benutzen

  • die WEA verlassen und im Montagefahrzeug (Offshore: in entsprechend geschützten Bereichen der WEA oder Plattform) aufhalten

  • Arbeitsteams in benachbarten WEA/Windparks informieren

  • Schutz- und Verhaltensmaßnahmen für Gewitter (Extremwetterlage) in Betriebsanweisungen festlegen und beachten (z. B.: Rechtzeitig - spätestens jedoch beim Erreichen der für die WEA kritischen Windgeschwindigkeit oder/und beim Eintreten von Blitzereignissen sowie der für das Verlassen der Offshore-WEA kritischen Wellenhöhe - sind die Arbeiten einzustellen und Sicherungsmaßnahmen einzuleiten. Hierbei sind auch die Hersteller- und Betreiberangaben zu berücksichtigen.)

Meeresparameter (Offshore)

Gefährdungen

  • z. B. Wellengang (Windseen, Kreuzseen), Wellenloch (tiefes Wellental), Gischt, Bewuchs an Anlage

Maßnahmen

C2.2 Zugang zu Offshore-WEA
(Überstieg/Abwinschen)
  • im Vorfeld von Arbeiten Wetter- und Seegangs-vorhersage einholen

  • entsprechende PSA auswählen und festlegen

  • PSA bei Transfer und Übertritt bereitstellen und benutzen

  • Überlebensanzüge zur Verfügung bereitstellen und benutzen

  • Schutz- und Verhaltensmaßnahmen für extreme Meeresbedingungen in Betriebsanweisung festlegen und beachten (z. B. Aufenthaltsbereiche auf CTV etc.)

  • Besondere Umsicht/Vorsichtsmaßnahmen bei Übertritt auf/von Anlage walten lassen

Wolken und Niederschläge

Gefährdungen

  • z. B. Regen, Starkregen, Schnee, Graupel, Hagel, Seenebel, Eisnebel, niedrige Wolkenbasis, geringe Lufttemperatur

  • Sichteinschränkungen

Maßnahmen

  • im Vorfeld von Arbeiten Wetterbericht einholen

  • entsprechende Schutzkleidung gegen Nässe und Kälte (Wetterschutz) bereitstellen und benutzen (dabei auf gute Erkennbarkeit der Beschäftigten achten (bedarfsweise Schutzkleidung mit Warnfunktion nach DIN EN ISO 20471))

  • Schutz- und Verhaltensmaßnahmen für extreme (auch sichteinschränkende) Wolken-, Nebel- oder Niederschlagsereignisse in Betriebsanweisung festlegen und beachten (z. B. Aufenthaltsbereiche, Mindestsichtbedingungen für den Aufstieg am Boatlanding und das Kranen mit dem Davitkran etc.)

UV-Strahlung

B6 "Ultraviolette Strahlung"

Gefährdungen (Auswirkungen)

  • Haut- und Augenschäden (z. B. Sonnenbrand, Hautkrebs)

Maßnahmen

  • im Vorfeld von Arbeiten Wetterbericht einholen

  • Arbeitsorganisation: Arbeiten im Freien nach Möglichkeit in Morgen- oder Abendstunden legen; Pausenregelungen anpassen und einhalten, ausreichende Flüssigkeitsaufnahme durch Beschäftigte sicherstellen

  • z. B. körperbedeckende, atmungsaktive, ausreichend UV-resistente Kleidung bereitstellen und benutzen; Kopf- und Nackenbedeckung tragen (z. B. Helm mit UV-Nackenschutz); Sonnenschutzmittel mit angepasstem Lichtschutzfaktor als Schutz für freiliegende Hautpartien; (Korrektions-) Sonnenschutzbrillen mit ausreichendem UV-Schutz bereitstellen und benutzen

Wärmestrahlung und Lufttemperatur

Gefährdungen (Auswirkungen)

  • z. B. Dehydrierung, Sonnenstich oder Hitzschlag bei starker Wärmestrahlung und/oder hohen Lufttemperaturen

  • z. B. Unterkühlung, Erfrierungen bei niedrigen Lufttemperaturen

Maßnahmen

  • im Vorfeld von Arbeiten Wetterbericht einholen

  • bei hoher Wärmestrahlung/Lufttemperatur: z. B. körperbedeckende, atmungsaktive, ausreichend UV-resistente Kleidung bereitstellen und benutzen; Kopf- und Nackenbedeckung tragen, z. B. Helm mit UV-Nackenschutz; Sonnenschutzmittel mit angepasstem Lichtschutzfaktor als Schutz für freiliegende Hautpartien

  • und (Korrektions-) Sonnenschutzbrillen mit ausreichendem UV-Schutz bereitstellen und benutzen

  • Pausenregelungen anpassen und einhalten, ausreichende Flüssigkeitsaufnahme durch Beschäftigten sicherstellen

  • bei niedriger Lufttemperatur: entsprechende Schutzkleidung gegen Kälte bereitstellen und benutzen, auch (und insbesondere) für Gesicht und Hände

Eisbildung

Gefährdungen

  • Anlagenvereisung, Eisfall, Eiswurf (z. B. bei Rotorblatt-vereisung)

  • Eis(glätte)bildung auf Zuwegungen

  • Meereisbildung (Offshore; vorwiegend Ostsee)

  • Vereisung von Sicherheitseinrichtungen (z. B. Steigschutz, Steigleiter)

  • Vereisung Schiff/Hubschrauber (Havarie/Notwasserung; Offshore)

Maßnahmen

  • im Vorfeld von Arbeiten Wetterbericht einholen

  • Enteisungsmaßnahmen ergreifen und durchführen

  • Glättebekämpfungsmaßnahmen ergreifen und durchführen

  • Maßnahmen für Zutritt/Übertritt auf Anlage und für Arbeiten sowie Aufenthalt nahe an Strukturen treffen (Hinweis: Eiswurf kann über mehrere hundert Meter stattfinden)

Optische Phänomene

Gefährdungen (Auswirkungen)

  • Dämmerung, Dunkelheit

  • Blendung durch z. B. Sonnenlicht sowie Fremd- oder Eigenleuchtmittel

  • Reflektionen durch Wasseroberfläche und Meereis (Offshore) oder Schnee

  • Reflektionen durch vereiste/verschneite WEA-Strukturen

  • mangelnde Unterscheidbarkeit Himmel/Horizont/Wasseroberfläche (Offshore; Referenzverlust Hubschrauberpilot)

  • optische und autokinetische Illusionen (optische und kinetische Täuschungen; Hubschrauberpilot)

  • Rhythmischer Schattenwurf durch WEA- und Hubschrauber-Rotorblätter (z. B. Stroboskop-Wirkung, Müdigkeit, Schwindel, Krämpfe, Bewusstlosigkeit bei Schattenwurf durch Hubschrauber-Rotorblätter möglich)

Maßnahmen

  • Arbeiten auf Tageszeiten und Beleuchtungsverhältnisse abstimmen

  • Reflektionen vermeiden

  • Schutzbrillen mit Tönung zur Verfügung stellen

  • Nutzung aller zur Verfügung stehender Fluginstrumente und Navigationshilfen (Hubschrauberpilot)