DGUV Information 206-001 - Stress am Arbeitsplatz

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Abschnitt 5 - Stress aus der Sicht eines Unternehmers

Der Wandel der Arbeitswelt hat vielfältige Folgen für die Beschäftigten. Ende des 19. Jahrhunderts hat die Industrialisierung mit der Zunahme einseitiger körperlicher Belastungen zu den heute anerkannten klassischen Berufskrankheiten geführt.

Die ersten Vorsorgeuntersuchungen für Untertage beschäftigte Bergarbeiter wurden Anfang des 20. Jahrhunderts durchgeführt. Diese Vorsorge hat wesentlich zur Früherkennung der Silikose geführt und wichtige Erkenntnisse für die Prävention gebracht. Am Ende des 20. Jahrhunderts haben die körperlichen Belastungen der Mitarbeiter drastisch abgenommen (Bilder 5-1 und 5-2).

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Bild 5-1: Wandel der Arbeitswelt am Beispiel der Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH Duisburg, vorher

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Bild 5-2: Wandel der Arbeitswelt, nachher

Die Informationstechnologie hat die Arbeitswelt revolutioniert. Auch die klassischen Berufskrankheiten haben dank der Bemühungen der Arbeitsmedizin und natürlich des technischen Fortschritts erheblich abgenommen.

Im Gegenzug hat die psychische Belastung zugenommen.

Und diese Feststellung wird aus der Sicht eines Unternehmens durch folgende Aspekte noch bedeutsamer:

  • Belegschaften werden älter;

  • Mitarbeiter müssen erst im späteren Berufsleben mit ungewohnter Informationstechnologie arbeiten;

  • Zwang zum lebenslangen Lernen und Anpassung an ständige Veränderungsprozesse der Arbeitssituation;

  • neue Arbeitsformen, z.B. Call-Center entstehen und stellen neuartige Anforderungen an die Arbeitnehmer.

Aus der Sicht eines Unternehmens ist daher die Beschäftigung mit dem Phänomen Stress ein essenzieller Faktor im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens.

Der Unternehmensleitung muss deutlich werden, dass Stressabbau Produktivitätssteigerung bedeutet.

Aber auch hier gilt die alte medizinische Erkenntnis:

Vor die Therapie haben die Götter den Schweiß der Diagnose gesetzt.

Daher stellt sich für den Unternehmer die Frage: Ist Stress im Unternehmen? Anfangs wurde ausgeführt, dass neue Formen der Arbeit auch ein anderes Miteinander im Unternehmen fordern. Die Anweisung ist nicht mehr der Goldstandard im Unternehmen, vielmehr ist ein stetiger offener Dialog gefordert, und zwar auf allen hierarchischen Ebenen des Unternehmens. Motivation, Überzeugung und Vereinbarung von Zielen sind wichtige Bausteine dazu.

Ich möchte Ihnen nun im Weiteren zeigen, wie die Diagnose gestellt werden kann, und welche Instrumente dazu erforderlich sind.

Viele Unternehmen nutzen bereits die Gesundheitsberichterstattung. Darunter zähle ich sowohl die Analyse der Arbeitsunfähigkeitsdaten der Krankenkassen als auch die Ergebnisse ganzheitlich angelegter arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen. Dazu gehören sicher als weiteres wesentliches Element die Ergebnisse von Befragungen von Mitarbeitern zur Arbeitszufriedenheit und zu Problemen am Arbeitsplatz. Dadurch erreichen wir eine Partizipation der Mitarbeiter und nur so macht dies in der Gesamtschau Sinn. Einzelne Bausteine daraus herauszugreifen vernebelt die Gesamtsicht, schränkt die Validität der Diagnose wesentlich ein. Ich möchte Ihnen dies anhand von einigen Beispielen aus unserem Unternehmen zeigen.

Die Ergebnisse arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen können nur dann eine wichtige Ergänzung darstellen, wenn sie neben den klassischen Gefährdungspotenzialen, z.B. Lärm, auch die psychischen Beanspruchungen von Mitarbeitern einbeziehen. Dies stellt besondere Anforderungen an die Wertigkeit des Gespräches zwischen Arzt und Mitarbeiter und erlaubt keine Beschränkung auf eine rein technische Untersuchung, wie sie bei einzelnen Grundsätzen vorgesehen ist. Betriebsärzte können hier einen originären Beitrag auch im Sinne des Konfliktmanagements leisten. Festzuhalten ist auch, dass in der bisherigen Einsatzzeitenregelung der Unfallverhütungsvorschrift "Betriebsärzte" (BGV A7) dies nicht berücksichtigt wird. Dies gilt sowohl auf der Ebene der individuellen Betreuung als auch bei der Erstellung eines Gesundheitsförderungsprogrammes zum Stressabbau im Unternehmen.

Die aktive und nicht nur passive Einbeziehung der Mitarbeiter in derartige Programme und Prozesse ist ein Muss. In vielen Unternehmen hat sich zu Beginn des Prozesses die Durchführung von Gesundheitszirkeln bewährt. Dabei können die Prinzipien eines offenen Dialoges und der Transparenz, aber auch des Konfliktmanagements geübt und umgesetzt werden. Grundsatz muss auch hier die offene Information, z.B. über Befragungsergebnisse, Ergebnisse der Gesundheitsberichterstattung usw. sein. Die Diskussion muss moderiert werden und von Offenheit getragen sein. Aus solchen Keimzellen können Veränderungsprozesse im Unternehmen wachsen und die Einbeziehung der Mitarbeiter wird dadurch erheblich gefördert. Durch die Teilhabe an solchen Veränderungsprozessen aus abgeleiteten konkreten Maßnahmen entsteht eine erhöhte Identifikation mit dem Unternehmen. Letztlich ist eine Kommunikationskultur in Unternehmen anzustreben, die Offenheit und Transparenz auf beiden Seiten zeigt.

Diese Kultur muss gelebt werden und darf nicht in Leitbildbroschüren verkümmern. Kommunikationskultur muss auch eine Fehlerkultur beinhalten. Dies ist ein Miteinander, das den Lerneffekt aus Fehlern stärker bewertet und nicht die Suche nach dem Schuldigen in den Vordergrund stellt. Die ständige Veränderung der Arbeitswelt bedeutet für die Mitarbeiter lebenslanges Lernen.

Die Voraussetzungen sind dafür vom Unternehmen zu schaffen, aber die Mitarbeiter müssen die Angebote nutzen und erkennen, dass sie selbst am meisten davon profitieren. Gerade für ältere Mitarbeiter sind dazu spezielle Programme notwendig. Das Lernen Älterer ist ein anderes Lernen, als des jungen Azubi und dies gilt insbesondere für Mitarbeiter, die keine besondere Leidenschaft zum Lernen und Lesen mitbringen.

Für ältere Arbeitnehmer sollten spezielle arbeitsmedizinische Vorsorgeprogramme eingeführt werden, aber nicht mit dem Ziel der Eignungsüberprüfung, sondern der frühzeitigen Intervention bei arbeitsbedingten psychischen Gesundheitsstörungen. Dies kann dazu beitragen, dass frühzeitig rehabilitative Maßnahmen durchgeführt werden.

Im Sinne der Prävention von Erkrankungen können sich daraus ergonomische Maßnahmen bzw. Änderungen der Arbeitsorganisation ergeben. Leider wird gerade bei diesen psychischen oder psychosomatischen Veränderungen die Diagnose oft viel zu spät gestellt oder gar erst dann, wenn bereits nicht nur Befindlichkeitsstörungen entstanden sind, sondern manifeste Krankheitsbilder.

Hier - glaube ich - kann durch spezifische ganzheitliche Programme wesentlich mehr Prävention erreicht werden als durch mechanistische G-Untersuchungen, Gehöruntersuchungen oder Abspulen von Herz-Kreislauf-Tests.

Von vielen Beschäftigten wird als wesentlicher Stressfaktor Hektik und Zeitdruck angegeben. Die Ursachen sind individuell zu ermitteln. Grundsätzlich gilt, dass ungewohnte Situationen Hektik und Stress schaffen. Dabei sind Unerfahrenheit und mangelndes Training häufige Ursachen. In automatisierten Prozessen ist der Umgang mit der Störungsbewältigung und dem manuellen Eingreifen ein schwieriger aber sehr wesentlicher Punkt, der einen großen Stress fördernden Faktor darstellt. Solche Störungen sind oft dank ausgereifter Technik sehr selten, aber gerade deswegen wird die Bewältigung umso schwieriger.

Dramatische Beispiele gibt es in der Serie großer GAU's, wie z.B. Harrisburg, und daher sollten Unternehmensführungen viel stärker auf die Simulation und Durchsprache der Strategien zur Störungsbeseitigung gemeinsam mit den Beschäftigten setzen. Hier liegt ein großes Potenzial brach.

Dies betrifft das Einbringen von Erkenntnissen der Mitarbeiter als auch die Vermittlung von Erfahrungen im Team und dies gilt insbesondere für Schichtarbeitsweise. Gerade solche Simulationsstrategien für kritische Situationen sind ein Teil des lebenslangen Lernens, aber auch gleichzeitig eine Maßnahme zur Stressvorbeugung.

Mitarbeiter mit starker Belastung durch neue Informationstechniken haben zu wenig körperliche Betätigungen. Angebote zum gezielten Freizeitausgleich sind notwendig, aber auch betriebsärztliche Interventionen mit dem Hinweis der notwendigen körperlichen Aktivität (Bild 5-3).

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Bild 5-3: Verhaltensprävention durch Sport

Im sitzenden Beruf wird die Pflege der Muskulatur durch regelmäßiges Training ein unabdingbares Muss und ist gleichzeitig ein Ausgleich zum Stressabbau.

Aus meiner Sicht ist daher die wichtigste Erkenntnis, im Betrieb und uns als Fachleuten für die Gesundheit deutlich zu machen:

Stressabbau = Produktivitätssteigerung

Zusammenfassend möchte ich Ihnen Folgendes sagen:

Stress ist das Salz des Lebens

(Hans Selye).

Ein Leben ohne Stress ist nicht möglich, aber zu viel Stress ist gesundheitsschädigend. Das "zu viel" finden ist Aufgabe für Unternehmen und ihre Betriebsärzte.

Ein Unternehmen ist gut beraten, alle Chancen zu nutzen:

  • situationsbedingten Stress zu vermeiden,

  • unvermeidlichen Stress abzubauen bzw. Bewältigungsstrategien zu erarbeiten,

  • nicht unnötigen Stress bei anderen aufbauen.