DGUV Information 206-001 - Stress am Arbeitsplatz

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Abschnitt 4.2 - Stress als Ursache von Erkrankungen

Die dargestellten Veränderungen in den Arbeitsbedingungen haben bei den betroffenen Beschäftigten nicht nur zu höheren Belastungen und zu Stress, sondern auch zu gesundheitlichen Schädigungen geführt. Die Statistiken der gesetzlichen Krankenversicherungen weisen zwar nicht die Zahlen über psychische oder psychosomatische Erkrankungen aus. Es sind aber die Zahlen der schweren psychischen Erkrankungen, die als psychiatrische Erkrankungen erfasst sind.

Der Bundesverband der Betriebskrankenkassen hat in der Statistik der Krankheitsarten für 1999/2000 eine Übersicht über die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage pro 100 Versicherten veröffentlicht. Aus ihr wird deutlich ersichtlich, dass die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage durch psychiatrische Erkrankungen seit Jahren steigt (Bild 4-4).

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Bild 4-4: Arbeitsunfähigkeitstage durch psychiatrische Erkrankungen

1999 standen die psychiatrischen Erkrankungen innerhalb der Diagnosehauptgruppen an sechster Stelle (Bild 4-5). Dieser Anstieg der psychiatrischen Erkrankungen dürfte auch seine Ursachen in den veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen haben.

Bild 4-5:
AU-Tage je 100 Mitglieder

KrankheitsartPflichtversicherte
ArbeiterAngestellte
1. Muskel- und Skeletterkrankungen647194
2. Krankheiten der Atemwege374240
3. Verletzungen und Vergiftungen329114
4. Krankheiten der Verdauungsorgane15686
5. Herz-/Kreislauferkrankungen13053
6. Psychiatrische Erkrankungen9972
Quelle Krankheitsartenstatistik 1999, Hrsg. BKK Bundesverband, Essen 2001

Bemerkenswert ist, dass die Arbeitsunfähigkeitstage der Frauen wegen psychiatrischer Erkrankungen um 40 % höher lagen als die der Männer. Dies verwundert insofern nicht, als sich die Arbeitsplätze, an denen Frauen häufig beschäftigt sind, dadurch auszeichnen, dass

  • die Entscheidungsfreiheit bei der Erledigung ihrer Arbeiten besonders gering,

  • die Leistungsanforderungen besonders hoch,

  • die Möglichkeiten für eigenständige Gestaltung des Arbeitsablaufs besonders gering und

  • Arbeit auf Abruf besonders häufig

sind.

Zwischen 1996 und 1998 hat es einen Rückgang der psychiatrischen Erkrankungen in der Statistik der Betriebskrankenkassen gegeben. Dieser Rückgang war nicht nachhaltig und wohl kaum das Resultat einer Verbesserung der gesundheitlichen Vorsorge. Es muss vielmehr vermutet werden, dass dieser Rückgang in einem Zusammenhang mit dem Rückgang der Krankheitstage insgesamt in dieser Zeit steht.

Es muss daran erinnert werden, dass von Arbeitgeberseite in diesem Zeitraum eine massive Kampagne zur Reduzierung der Krankheitstage durchgeführt und Kranke pauschal als "Blaumacher" tituliert wurden. Der Rückgang bei den psychiatrischen Erkrankungen war dabei geringer als bei den anderen Erkrankungen und wie die Kurve zeigt, nicht nachhaltig.

Psychische Belastungen bei der Arbeit und betrieblicher Stress verursachen aber auch andere Erkrankungen. Eine arbeitsmedizinische Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin kam 1997 zu folgender Schlussfolgerung: "Wer pro Woche mindestens fünf Überstunden arbeitet, verdoppelt fast sein Infarktrisiko."1

In einer anderen Studie kommt der hessische Landesgewerbearzt zu folgendem Ergebnis: Bei lang andauernden, häufigen Überstunden erhöht sich das Herzinfarktrisiko sogar um den Faktor 7,3.

Dieser Zusammenhang von überlangen Arbeitszeiten und Stress mit Herz-Kreislauferkrankungen gilt als gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis.

In Deutschland sterben jährlich fast 100 000 Menschen an Herzinfarkt. 20 % davon gelten als arbeitsbedingt verursacht.

Mit anderen Worten: Durch Belastungen im Arbeitsleben sterben jährlich fast 20000 Menschen an einem Herzinfarkt. Ein großer Teil dieser Belastungen geht auf das Konto von Stress und psychischen Belastungen.

Es ist eigentlich verwunderlich, wie wenig solche Fakten in der öffentlichen Diskussion wahrgenommen werden. Dass durch Stress die gesamte körperliche Verfassung beeinflusst wird und Gesundheitsschädigungen entstehen können, hat eine Erhebung der Europäischen Stiftung in Dublin gezeigt.2

Durch hohes Arbeitstempo und ständigen Leistungsdruck verdoppelt sich etwa die Zahl der Beschäftigten, die über Rückenschmerzen, Muskelschmerzen in Nacken und Schultern und allgemeinen Stress klagen.

Die Erhebung zeigt auch, dass derartige Arbeitsbedingungen zu einer Erhöhung der Unfallrisiken führen (Bilder 4-6 und 4-7). Die Prognose für die weitere Entwicklung ist eher düster. Der Anstieg der psychischen Belastungen in den Betrieben trifft auf eine Arbeitnehmerschaft, deren Durchschnittsalter in den nächsten Jahren stetig steigen wird.

Die zunehmenden physischen Belastungen treffen also Beschäftigte, die aufgrund ihrer physischen und psychischen Konstitution immer weniger in der Lage sind, diese Belastungen ohne gesundheitliche Schädigungen zu ertragen.

Bild 4-6:
Gesundheitsprobleme und ständiges Arbeiten mit hoher GeschwindigkeitArbeitsbedingungen in Europa - 3. Erhebung im Frühjahr 2000

RückenschmerzenStressMuskelschmerzen in Nacken und SchulternVerletzungen
%%%%
Ständiges Arbeiten mit hoher Geschwindigkeit46403511
Kein ständiges Arbeiten mit hoher Geschwindigkeit2521155
Quelle: EUROPEAN FOUNDATION for the Improvement of Living and Working Conditions, Ten Years of Working Conditions in the European Union, von Damien Merllié und Pascal Paoli, Dublin 2001

Bild 4-7:
Gesundheitsprobleme und ständiges Arbeiten mit engen ZeitvorgabenArbeitsbedingungen in Europa - 3. Erhebung im Frühjahr 2000

RückenschmerzenStressMuskelschmerzen in Nacken und SchulternVerletzungen
%%%%
Ständiges Arbeiten mit engen Zeitvorgaben42403110
Kein ständiges Arbeiten mit engen Zeitvorgaben2720175
Quelle: EUROPEAN FOUNDATION for the Improvement of Living and Working Conditions, Ten Years of Working Conditions in the European Union, von Damien Merllié und Pascal Paoli, Dublin 2001

FR v. 15.11.1997

Hrsg.: EUROPEAN FOUNDATION for the Improvement of Living and Working Conditions, Ten Years of Working Conditions in the European Union, von Damien Merllié und Pascal Paoli, Dublin 2001, Zusammenfassung im Internet unter www.eurofound.je/publications/3712.htm