DGUV Information 211-006 - Sicherheit und Gesundheitsschutz durch Koordinieren

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Abschnitt 11 - 11. Inbetriebsetzung technischer Großanlagen

An der Inbetriebsetzung technischer Großanlagen sind nahezu immer Mitarbeiter verschiedener Unternehmen beteiligt, z. B. Auftragnehmer, Auftraggeber, Überwachungsbehörden, Sachverständige. Da eine gegenseitige Gefährdung hierbei nicht ausgeschlossen werden kann, ist auch für die Inbetriebsetzung ein Koordinator zu bestellen.

Eine Besonderheit besteht insoweit, als bei einer Inbetriebsetzung technischer Großanlagen zumindest zeitweise die für den Normalbetrieb geltenden Arbeitsschutzbestimmungen nicht oder nicht in vollem Umfang angewendet werden können. Dies ist dadurch begründet, dass nur so die einwandfreie Beschaffenheit der Anlage festgestellt werden kann oder eine neu entwickelte Anlage oder eine für den Export bestimmte Anlage erprobt werden muss.

Die von den technischen Großanlagen ausgehenden Gefahren sind in Abhängigkeit vom technischen Prozess sehr unterschiedlich.

Besondere Schutzmaßnahmen können deshalb nicht allgemeingültigvorgegeben werden. Allgemeingültig ist nur der Einsatz eines Hauptverantwortlichen und die Aufstellung eines Inbetriebsetzungsplanes. Dieser Plan muss insbesondere alle anlagespezifischen Schutzmaßnahmen enthalten. Als Handlungsanleitung haben die Berufsgenossenschaften "Grundregeln für Sicherheitsmaßnahmen bei der Inbetriebsetzung technischer Großanlagen" erarbeitet, um die Abwehr der vielfältigen Gefährdungen zu erleichtern (siehe Bild 11-1 auf den folgenden Seiten).

Darüber hinaus sind entsprechende Notfallmaßnahmen nach § 22 BGV A1 "Grundsätze der Prävention" zu planen.

Entsprechende Zutritts- und Aufenthaltsbeschränkungen nach § 9 BGV A1 "Grundsätze der Prävention" sind auszusprechen und wirksam zu überwachen.


Geltungsbereich
Diese Regeln gelten für die Inbetriebsetzung nach Fertigstellung, Umbauarbeiten und Reparaturen von Großanlagen. Sie gelten auch, wenn nur einzelne der im Geltungsbereich genannten Inbetriebsetzungen erfolgen.


Begriffsbestimmungen
Zur Inbetriebsetzung im Sinne dieser Regeln gehören
  • Druckproben, Dichtigkeitsprüfungen,

  • Reinigen,

  • Anfahren und Probelauf von Hilfsaggregaten,

  • Anfahren der Großanlage,

  • Probebetrieb.

Koordinator ist die Person, die bei gleichzeitiger Anwesenheit verschiedener Arbeitsgruppen auf einer Arbeitsstelle zur Vermeidung gegenseitiger Gefährdung die Arbeitsvorgänge zeitlich und räumlich abzustimmen hat.

Hauptverantwortlicher ist der für die Inbetriebsetzung der Großanlage Eingesetzte.

Verantwortlicher ist der weisungsbefugte Beauftragte jeder an der Erstellung der Großanlage beteiligten Arbeitsgruppe.

Gefahrenbereich ist der räumliche Teil einer Großanlage, in dem es zu einer gegenseitigen Gefährdung der beteiligten Arbeitsgruppen kommen kann.

Gefährdungen entstehen z. B.
  • bei Druckproben und Dichtigkeitsprüfungen durch abfliegende Bauteile, Ausströmen des Prüfmediums, Austreten des Prüfmediums unter hohem Druck, Zerknall des Prüfobjektes,

  • beim Reinigen durch Konzentration, Temperatur, Druck der verwendeten Reinigungsmittel, nitrose Gase sowie Verwendung provisorischer Leitungen, Pumpen und Behälter,

  • beim Anfahren der Großanlage in Abhängigkeit vom technischen Prozess,

  • beim Probebetrieb ebenfalls in Abhängigkeit vom technischen Prozess, jedoch in geringerem Umfang, bedingt durch die Funktionsfähigkeit von Mess-, Sicherheits- und Warneinrichtungen.


Bild 11-1 (Teil 1): Grundregeln für Sicherheitsmaßnahmen bei Inbetriebsetzung technischer Großanlagen (Fortsetzung nächste Seite)


Reinigen ist das Beizen, Spülen, Ausblasen von Anlagen. Es dient der Entfernung von Rückständen.

Probebetrieb beginnt mit dem Zeitpunkt, an dem alle Sicherheitseinrichtungen sowie die für die Sicherheit wichtigen Mess-, Regel- und Warneinrichtungen funktionsfähig sind. Er endet mit der Endabnahme durch eine "Befähigte Person" nach TRBS 1203 bzw. Abnahme durch einen Beauftragten des Auftraggebers. 


1.0 Hauptverantwortlicher, Inbetriebsetzugsplan
1.1Für die Inbetriebnahme einer technischen Großanlage sind ein Hauptverantwortlicher und erforderlichenfalls Stellvertreter einzusetzen. Sie müssen über die für die Inbetriebsetzung erforderliche Fachkunde verfügen.
Die Namen sind bekannt zu geben.
1.2Der Hauptverantwortliche oder ein Stellvertreter müssen ständig anwesend sein.
1.3Vor der Inbetriebnahme ist vom Hauptverantwortlichen gegebenenfalls in Abstimmung mit dem Koordinator ein Inbetriebsetzungsplan zu erstellen und jedem Verantwortlichen in schriftlicher Form zuzuleiten. Alle an der Inbetriebsetzung Beteiligten sind verpflichtet, neben den Arbeitsschutzbestimmungen und den allgemein anerkannten Regeln der Technik die in diesem Plan vorgesehenen besonderen Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten.
1.4Der Inbetriebsetzungsplan muss mindestens enthalten:
1.Für die Inbetriebsetzung geltende Bestimmungen aus Unfallverhütungsvorschriften, sonstigen Arbeitsschutzbestimmungen und allgemein anerkannten Regeln der Technik
2.Anlagespezifische Sicherheitsmaßnahmen unter Beachtung der im Folgenden aufgeführten Regeln
3.Ablaufplan
4.Zeitplan
5.Gefahrenbereiche
6.Befugten Personenkreis

Bild 11-1 (Teil 2): Grundregeln für Sicherheitsmaßnahmen bei Inbetriebsetzung technischer Großanlagen



2.0 Druckproben, Dichtigkeitsprüfungen
2.1Bei Druckproben und Dichtigkeitsprüfungen mit Wasser darf die Wassertemperatur nicht höher als 50°C sein.
2.2Es ist sicherzustellen, dass beim Füllen einer Großanlage niemand zu Schaden kommt, z. B. durch Ertrinken, Ersticken, durch Umstürzen von Bauteilen als Folge der Füllung.
2.3Druckproben und Dichtigkeitsprüfungen mit Gasen oder Druckluft sind nur zulässig, wenn das Einverständnis des Sachverständigen vorliegt.
2.4Während der vorgenannten Prüfungen ist in Abhängigkeit von Druck, Inhalt und Medium der Gefahrenbereich festzulegen. Dieser Gefahrenbereich ist zu kennzeichnen, abzusichern und darf nur von den mit der Prüfung beschäftigten Personen betreten werden.
2.5Druckproben und Dichtigkeitsprüfungen mit giftigen oder leicht entzündlichen Gasen sind nicht zulässig.


3.0 Reinigen
3.1Beim Reinigen von Anlagen müssen den mit diesen Arbeiten Beschäftigten geeignete persönliche Schutzausrüstungen zur Verfügung gestellt werden. Die Beschäftigten sind verpflichtet, diese Körperschutzmittel zu benutzen.
3.2Bei Arbeiten mit Säuren, Laugen, Chlorkohlenwasserstoffen oder dergleichen, sind die hierfür geltenden Bestimmungen zu beachten.
3.3Geht beim Beizen von den verwendeten Stoffen eine besondere Gesundheitsgefährdung aus, z. B. bei Sauren, Laugen, so ist der Gefahrenbereich zu kennzeichnen und abzusperren. Diesen Gefahrenbereich dürfen nur die für das Beizen erforderlichen Beschäftigten betreten.


4.0 Anfahren und Probelauf von Hilfsaggregaten
4.1Vor dem Anfahren einzelner Hilfsaggregate ist durch den jeweils Verantwortlichen sicherzustellen, dass Beschäftigte nicht gefährdet werden.

Eine Gefährdung kann z. B. von rotierenden Maschinenteilen, expandierenden Stoffen, abfliegenden Teilen, elektrischer Energie ausgehen.

Bild 11-1 (Teil 3): Grundregeln für Sicherheitsmaßnahmen bei Inbetriebsetzung technischer Großanlagen

4.2Jeder Probelauf von Hilfsaggregaten muss unter fachkundiger Aufsicht erfolgen. Der Verantwortliche hat den Einsatz der zu diesem Zweck erforderlichen Fachkundigen zu regeln. Regelungs-, Nachstell- und Einstellarbeiten dürfen nur von diesen Fachkundigen durchgeführt werden.
4.3Nach erfolgtem Probelauf sind die Hilfsaggregate gegen ein unbeabsichtigtes Anlaufen zu sichern.


5.0 Anfahren der Großanlage
5.1In Abhängigkeit vom technischen Prozess ist der Gefahrenbereich unter Berücksichtigung der größtmöglichen Gefährdung festzulegen, zu kennzeichnen und abzusichern.
5.2Im Gefahrenbereich darf sich nur das für das Anfahren unbedingt erforderliche Personal aufhalten. Dieser Personenkreis ist schriftlich zu benennen und durch Anschlag an geeigneter Stelle (z. B. Steuerstand, Hauptfahrstand, Leitstand, Warte, Zugänge) bekannt zu geben.
5.3Den im Gefahrenbereich tätigen Personen müssen geeignete persönliche Schutzausrüstungen zur Verfügung gestellt werden. Die Beschäftigten sind verpflichtet, diese zu benutzen.
5.4Fachpersonal (Regelmechaniker, Messtechniker, Elektriker usw.), welches während des Anfahrens für kurzfristige Arbeiten gebraucht wird, hat sich außerhalb des Gefahrenbereiches abrufbereit aufzuhalten. Der Abruf erfolgt durch den Hauptverantwortlichen. Nach dem Einsatz ist der Gefahrenbereich unverzüglich wieder zu verlassen.
5.5Nach Abschluss der Arbeiten hat jeder Verantwortliche dem Hauptverantwortlichen schriftlich zu versichern, dass sich kein Mitarbeiter seines Zuständigkeitsbereiches in der Anlage befindet. Das Schließen von Einstiegsöffnungen, z. B. Feuerungstüren, Trommelverschlüssen, Explosionsklappen, wird unmittelbar vorher durch ein akustisches Signal angezeigt, welches der Hauptverantwortliche auslöst. Die Beschäftigten sind über die Bedeutung des Signals zu unterrichten. Die Verantwortlichen haben die Personen, welche die Einstiegsöffnungen endgültig schließen sollen, zu bestimmen. Diese sollen sich vor dem endgültigen Schließen davon überzeugen, dass sich niemand mehr in der Anlage befindet.

Bild 11-1 (Teil 4): Grundregeln für Sicherheitsmaßnahmen bei Inbetriebsetzung technischer Großanlagen

5.6Alle Mess-, Sicherheits- und Warneinrichtungen, bei denen eine Einstellung im Stillstand (kalte Anlage) möglich ist, sind vor dem Anfahren betriebsbereit und funktionsfähig zu machen.
5.7Bei der Einstellung von Sicherheitsventilen dürfen sich nur der Sachverständige und ein Fachmann für die Sicherheitsarmatur an dem Sicherheitsventil aufhalten. Diese müssen geeignete persönliche Schutzausrüstungen tragen, z. B. Hitzeschutzanzüge.


6.0 Probebetrieb
6.1Während des Probebetriebes darf der Gefahrenbereich nur bei dringenden Arbeiten betreten werden. Hierfür muss eine schrittliche Erlaubnis durch den Hauptverantwortlichen vorliegen.

In dieser Erlaubnis sind Zweck und Umfang der Arbeit sowie die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen festzulegen.


















Bild 11-1 (Teil 5): Grundregeln für Sicherheitsmaßnahmen bei Inbetriebsetzung technischer Großanlagen