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Meier, Arbeitssicherheitsjournal 2010, 20
Gesundheits-Vermittler zwischen den Kulturen

Olaf Meier

Meier: Gesundheits-Vermittler zwischen den Kulturen - Arbeitssicherheitsjournal 2010 Heft 7 - 20

Migranten in den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz zu integrieren, ist nicht immer leicht. Engagierte Kollegen können eine wichtige Stütze beim interkulturellen Gesundheitsmanagement spielen.

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Kulturelle Vielfalt am Arbeitsplatz ist heute in vielen Unternehmen eine Selbstverständlichkeit und wird in Zukunft noch zunehmen. Den Gesundheitsschutz der Mitarbeiter zu gewährleisten, ist in diesen Unternehmen eine besondere Herausforderung. Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen haben auch unterschiedliche Vorstellungen, was Gesundheit bedeutet. Sie nehmen Krankheiten verschieden wahr und erleben berufliche Belastungen und Beanspruchungen sehr unterschiedlich. Hinzu kommen Sprachbarrieren, aber auch Wissenslücken, wer der richtige Ansprechpartner im Betrieb für ein spezielles Anliegen ist.

Diese kulturell bedingte „Verschiedenheit“ schlägt sich auch im Krankheitsgeschehen nieder: Arbeitnehmer anderer Nationalität haben häufiger Arbeitsunfälle und erkranken öfter an Berufskrankheiten als deutsche Beschäftigte. Aber „die Arbeitsunfähigkeitsdaten sind anonymisiert, daher kann eine valide Aussage nicht getroffen werden“, so Christine Richter, Pressesprecherin des BKK Bundesverbands. „Indirekt lassen sich allerdings Rückschlüsse daraus ziehen, ob bestimmte Berufsgruppen eine höhere Verletzungshäufigkeit ausweisen.“ So sind beispielsweise Straßenwarte, Maurer, Abfallbeseitiger oder Stahlschlosser überdurchschnittlich häufig von Verletzungen bzw. Arbeitsunfällen betroffen – Berufe also, in denen meist überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationshintergrund tätig sind.

Sprachliche und kulturelle Barrieren überwinden

Erste Unternehmen entwickeln daher besondere Konzepte, um ihre Mitarbeiter mit anderen kulturellen Hintergründen in die betriebliche Gesundheitsförderung und den Arbeitsschutz verstärkt einzubinden. So haben die BMW Group und deren Betriebskrankenkasse ein von der Initiative Gesundheit und Arbeit entwickeltes Interkulturelles Betriebliches Gesundheitsmanagement (IBGM) erstmalig in der Abteilung Presswerk und Karosseriebau des BMW Werks München erprobt.

Hier haben nur knapp 61 % der Beschäftigten die deutsche Staatsangehörigkeit. Türkischer Herkunft ist etwa ein Viertel der Belegschaft, die verbleibenden rund 15 % verteilen sich auf unterschiedliche Nationalitäten wie Kroaten, Serben, Griechen usw. Joachim Grüger, BMW, Leiter Presswerk, Karosseriebau, Werk München: „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund müssen besondere sprachliche und kulturelle Barrieren überwinden. Mit dem IBGM gelingt es, vor dem Hintergrund verschiedener Herkunftskulturen, die Mitarbeiter noch stärker in die BWM AG einzubinden.“

Führungskräfte sensibilisieren

Das IBGM besteht im Kern aus zwei Ansätzen: Zum einen wurden die Führungskräften für kulturelle Unterschiede und den Zusammenhang zwischen Führung und Gesundheit sensibilisiert. Dazu veranstaltete BMW ein Seminar, in dem Handlungsfelder erarbeitet und Inhalte vermittelt wurden, die zu einem größeren Verständnis der Zusammenhänge Migration, Kultur und Gesundheit sowie von interkultureller Kompetenz und Gesundheitsmanagement führten.

Gesundheitslotsen als Ansprechpartner

Zum anderen wurden sogenannte „Gesundheitslotsen“ ernannt. Dabei handelt es sich um Mitarbeiter des Werkes, die neben guten Deutschkenntnissen auch Vertrauen und Anerkennung in ihrem Produktionsbereich genießen. Die Mitarbeiter wurden angesprochen und konnten freiwillig entscheiden, ob sie Gesundheitslotsen werden wollten oder nicht.

BMW-Werksleiter Joachim Grüger: „Die neu ausgebildeten Gesundheitslotsen geben ihre Kenntnisse an ihre Landsleute und Kollegen weiter, wenn nötig auch in der jeweiligen Muttersprache.“ Die Gesundheitslotsen wurden zu grundsätzlichen Themen wie die eigene Gesundheit, Migration und Aufgaben im betrieblichen Gesundheitsmanagement geschult, lernten aber auch alle relevanten Ansprechpartner im Betrieb kennen. Praktische Anwendungsübungen z.B. zur Kommunikation oder dem Aufbau von und der Arbeit in Netzwerken rundeten die Ausbildung der Lotsen ab.

Informieren und motivieren

Die 20 Gesundheitslotsen in dem BMW-Werk verstehen sich als gleichberechtigte Kollegen, die dank ihres Wissens über das betriebliche Arbeitsschutz- und Gesundheitsmanagement Kollegen durch das betriebsinterne Gesundheitsangebot lotsen können. Sie kennen die Akteure des betrieblichen Gesundheitsmanagements und sind für diese ebenso Ansprechpartner wie für ihre Kollegen.

Die Gesundheitslotsen haben damit eine Brückenfunktion: Sie geben gesundheitsrelevante Informationen weiter, die durch das Gesundheitsmanagement bereitgestellt werden. Wichtige Aufgabe ist es auch, die Kollegen über entsprechende Veranstaltungen zu informieren –und sie auch zur Teilnahme zu motivieren.

Gleichzeitig machen sie aber auch auf gesundheitliche Defizite aufmerksam und tragen diese Informationen an die richtigen Stellen.

Das Fazit, das nach rund einem Jahr Erprobung bei BMW gezogen wird, ist positiv: Insgesamt stößt das Konzept in der BMW AG auf großen Zuspruch. Die Gesundheitslotsen werden in ihren Arbeitsbereichen akzeptiert und von ihren Kollegen auch informell zu Gesundheitsthemen angesprochen. Die Führungskräfte unterstützen das Projekt, indem sie die Gesundheitslotsen, wenn möglich, für ihre Aufgabe freistellen. „Aufgrund der guten Erfahrung wollen wir das IBGM auch in anderen Unternehmensteilen einführen“, so Joachim Gruger.

Fazit: Nicht nur für Großkonzerne

Auch wenn das Pilotprojekt aus dem BMW-Konzern stammt, lässt sich das Konzept nicht nur in Großkonzernen umsetzen. Mit der Idee, den interkulturellen Arbeits- und Gesundheitsschutz „von Kollege zu Kollege“ zu kommunizieren, können auch kleine und mittelständische Unternehmen bereits mit einfachen Mitteln Erfolge erzielen.

Zwar hat sich auch in kleineren Betrieben bei der betrieblichen Gesundheitsförderung in den letzten zehn, fünfzehn Jahren viel getan. Anders als noch vor Jahren setzen viele Unternehmen heute auf Änderung des Verhaltens der Mitarbeiter in puncto Gesundheit. Doch noch ist das Interesse an Projekten für die betriebliche Gesundheitsförderung eher unterdurchschnittlich, wie eine Umfrage von „IGA“ bei 500 Unternehmen des produzierenden Gewerbes mit 50 bis 500 Beschäftigten zeigte: Von den befragten Unternehmen hat durchschnittlich jedes Dritte ein Betriebliches Gesundheitsmanagement.

Doch die Quote unterscheidet sich je nach Unternehmensgröße stark, wie Christine Richter vom BKK Bundesverband berichtet: „In Betrieben mit 50 bis 99 Beschäftigten kommt ein Betriebliches Gesundheitsmanagement bei 35 zum Einsatz, bei Betrieben mit 100 bis 199 Mitarbeitern sind es sogar nur 30 %. Bei den Unternehmen mit mehr als 200 Mitarbeitern nutzt hingegen fast jedes Zweite ein Betriebliches Gesundheitsmanagement.“ Es besteht also noch Nachholbedarf – beim allgemeinen Gesundheitsmanagement genauso wie beim interkulturellen.

Hinweis:

Auf www.arbeitssicherheit.de führt Sie der Webcode 14476 zu einem Ratgeber zur betrieblichen Gesundheitsförderung in deutscher, türkischer und englischer Sprache.

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