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Rosarius, Arbeitssicherheitsjournal 2010, 13
Mitarbeitergesundheit im Ausland

Hans T. Rosarius

 Rosarius: Mitarbeitergesundheit im Ausland - Arbeitssicherheitsjournal 2010 Heft 1 - 13>>

Die reisemedizinische Vorsorge ist ein Skandal: Nur jeder 20. Mitarbeiter wird vor und nach Geschäftsreisen in Risikogebiete adäquat betreut. Dabei stehen Unternehmer und Dienstherren in der Pflicht, wenn es um die Mitarbeitergesundheit geht.

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Dass Mitarbeiter eines Unternehmens drei Tage nach Karthum im Sudan oder eine Woche nach Dubai, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, oder zwei Wochen in den Süden Indiens nach Bangalore oder gar ein halbes Jahr nach Kenia reisen, ist heute üblich. Im Zeitalter des weltweiten Handels gehört es zum täglichen Geschäft, dass die Mitarbeiter kurzfristig auf Geschäftsreisen in gesundheitliche Risikogebiete reisen müssen.

Risikogebiete sind der Mittlere Osten, Asien, Mittel- und Südamerika, die Karibik und Afrika. Ferner zählen dazu Gebiete mit extremen Temperaturschwankungen, besonders in Minusbereichen, wie die Arktis und Antarktis, aber auch Länder mit besonderen klimatischen und gesundheitlichen Belastungen wie Alaska und Grönland. In einigen dieser Länder kommen heute noch die Krankheiten vor, die wir für unsere Regionen meist nur aus den Geschichtsbüchern kennen. Zusätzlich findet man in diesen Ländern auch Cholera, Malaria, Typhus, Gelbfieber, alle Hepatitisformen, Denguefieber, Polio und Tetanus.

Viele Arbeitgeber und Dienstherren vernachlässigen die arbeitsmedizinische Pflichtuntersuchung bei Arbeitsaufenthalten im Ausland. Meist gehen typische Erkrankungen im Ausland auf fehlende Schutzmaßnahmen durch Impfungen oder medikamentöse Prophylaxe, auf mangelnde Aufklärung oder einfach auf Fahrlässigkeit zurück.

Sorgloser Umgang mit Gesundheitsrisiken

Die gesetzlichen Unfallversicherungsträger gehen davon aus, dass jährlich 2 Mio. Arbeitnehmer in Risikogebiete reisen – vom Angestellten über den Beamten bis hin zum Manager, und das mit steigender Tendenz. Jeder Dritte klagt während seines Aufenthaltes über Durchfallerkrankungen und 3 % kehren krank oder arbeitsunfähig zurück. 3 400 infizieren sich mit Hepatitis A und 6 000 mit Hepatitis B. An Malaria erkranken rund 1 000 Reisende, von denen 20 bis 30 sterben. Dabei haben etwa 80 % eine falsche oder keine Malariavorbeugung durchgeführt.

Ende 2008 erkrankten innerhalb von nur zweieinhalb Monaten 56 Gambiareisende aus Europa an Malaria tropica, der schwersten Verlaufsform von Malaria, so Dr. Uwe Ricken, Facharzt für Allgemeinmedizin, Betriebsmedizin, Rettungsmedizin, Sportmedizin und erster Vorsitzender des Bundesverbandes selbstständiger Arbeitsmediziner und freiberuflicher Betriebsärzte (BsAfB). 45 dieser Reisenden hatten im Vorfeld der Reise keine Malariaprophylaxe durchgeführt. Dies zeigt in erschreckender Weise, dass viele Reisende sorglos in gesundheitliche Risikogebiete fahren.

Nur 5 % aller Geschäftsreisenden sind vorbereitet

„Von den beruflich Reisenden, die jedes Jahr in gesundheitliche Risikogebiete fahren, werden gerade mal 100 000 unter arbeitsmedizinischen Bedingungen betreut und beraten“, sagt Dr. Eckhard Müller-Sacks, Facharzt für Arbeitsmedizin, Flugmedizin, Umweltmedizin sowie Leiter Koordinierungsstelle Flug- und Reisemedizin beim Berufsgenossenschaftlichen Arbeitsmedizinischen und Sicherheitstechnischen Dienst (B.A.D GmbH).

Das ist unter gesundheitspolitischen Gesichtspunkten des Arbeitsschutzes ein Skandal, denn nichts ist so wichtig wie die Gesundheit. Damit werden nur 5 % aller Mitarbeiter von Unternehmen, Institutionen, Behörden und Hilfsorganisationen, die für ihre Tätigkeit in gesundheitliche Risikogebiete reisen, von ihrem Arbeitgeber oder Dienstherrn vorher einem Arbeitsmediziner oder Betriebsmediziner zugeführt.

Arbeitsmedizinische Vorsorge ist Pflicht

Die Ursachen für diesen mangelhaften Zustand sehen die Experten im fehlenden Verständnis für die Gesundheit der Mitarbeiter. Unternehmen, Institutionen, Behörden, Betriebsräte, Personalvertretungen, Hilfsorganisationen und die Mitarbeiter selber scheinen sich nicht ausreichend dafür zu interessieren, obwohl am 19. Dezember 2008 die „Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge“ in Kraft getreten ist.

In Tabelle 4 des Anhangs zur Verordnung sowie in den §§ 3 und 7 hat der Gesetzgeber festgeschrieben, dass bei „Tätigkeiten in Tropen, Subtropen und sonstigen Auslandsaufenthalten mit besonderen klimatischen Belastungen und Infektionsgefährdungen“ entsprechende Untersuchungen durchgeführt werden müssen. Diese sind nur von einer Ärztin oder einem Arzt mit der Gebietsbezeichnung Arbeitsmedizin oder der Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin und der zugehörigen Anerkennung als Tropenmediziner durchzuführen.

Verantwortlich für diese Missstände sind auch die nicht greifenden Kontrollen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger. Nach Insiderinformationen werden die gesundheitlichen Belange der beruflich Reisenden auch durch medizinische Fachgesellschaften vernachlässigt. Ihnen sind die gesundheitlichen Aspekte eines Touristen in einem Fünf-Sterne-Hotel wichtiger als die eines Monteurs im Wohncontainer, mit gesundheitlich unsicherem Frischwasser und Essen auf dem Land, fernab von jeder größeren Stadt. Das Ergebnis: Vielen Arbeitgebern ist nicht bekannt, dass sie dazu verpflichtet sind, alle Mitarbeiter arbeitsmedizinisch betreuen zu lassen, entweder durch einen Betriebsarzt oder einen überbetrieblichen arbeitsmedizinischen Dienst.

Zu einem ähnlichen Resultat kommt auch das Institut für Management- und Wirtschaftsforschung (IMWF) in Hamburg, das im Frühjahr 2008 gemeinsam mit dem Handelsblatt eine Befragung unter 331 Führungskräften durchgeführt hat. Danach stellen zwei Drittel der Betriebe ihren Beschäftigten keine Informationen über Gesundheitsgefahren in Geschäfts- oder Urlaubsreisegebieten zur Verfügung. Nachholbedarf in der betrieblichen Gesundheitsvorsorge besteht auch bei Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern. In 85 % dieser Betriebe würde die Aufklärung über Gesundheitsrisiken in Reisegebieten vernachlässigt.

Ist es Blauäugigkeit oder die Einstellung „Es wird schon nichts passieren“, dass der reisemedizinischen Vorsorge keine große Bedeutung beigemessen wird? Kommt es zu einer Erkrankung, dann haben der Reisende und der Arbeitgeber das Nachsehen. Der Mitarbeiter trägt mitunter einen dauerhaften Gesundheitsschaden davon. Für das Unternehmen bedeutet dies gleichzeitig einen wirtschaftlichen Schaden.

Unter diesen Gesichtspunkten haben die Berufsgenossenschaften als gesetzliche Unfallversicherungsträger bereits vor etwa 30 Jahren die Kriterien für die reisemedizinische Betreuung von geschäftlich Reisenden in dem verpflichtenden Grundsatz „Arbeitsaufenthalt im Ausland unter besonderen klimatischen und gesundheitlichen Belastungen“ festgelegt. Dieser Berufsgenossenschaftliche Grundsatz G 35 muss jedem Arbeitsmediziner und Betriebsarzt bekannt sein. Er besagt, dass Mitarbeiter nur dann in Länder mit gesundheitlichen Risiken reisen dürfen, wenn sie zuvor einem für diese Betreuung befähigten Arzt vorgestellt worden sind. Dies gilt für alle Arbeitnehmer, auch für Journalisten, Mediziner, Forscher, Soldaten, Polizeibeamte sowie Mitarbeiter von humanitären und technischen Hilfsorganisationen.

 Rosarius: Mitarbeitergesundheit im Ausland - Arbeitssicherheitsjournal 2010 Heft 1 - 14<<

So verläuft die ideale reisemedizinische Betreuung

Betreuung bedeutet je nach Aufenthaltsort und Aufenthaltsdauer Beratung, Untersuchung, Nachbetreuung durch einen dazu befähigten Arzt. Die Beratung schließt dabei die besonderen klimatischen und gesundheitlichen Belastungen sowie die ärztliche Versorgung am vorgesehenen Einsatzort, aber auch Hinweise über Malaria- und Impfvorbeugung ein. Es handelt sich dabei um ein klassisches Arbeitsgebiet des Arbeitsmediziners.

Die vielfältig geübte Praxis, Urlauber, die in die Tropen und Subtropen reisen, und die noch gelegentlich anzutreffende Praxis, beruflich Reisende über den Hausarzt betreuen zu lassen, ist nach Studien mit der Fragestellung nach der Qualität und Effektivität höchst kontraproduktiv für die Gesundheit des Reisenden. Alleine 100 befähigte Arbeitsmediziner gehören zur B.A.D, die bundesweit mit ihren 220 Zentren über 250 000 Betriebe mit mehr als 4 Mio. Arbeitnehmern arbeitsmedizinisch sowie sicherheitstechnisch betreut.

Auch Touristen sind gefährdet, insbesondere der Trekking- und Abenteuerurlauber sowie der gesundheitlich vorgeschädigte Reisende, der in Länder fährt, die ihn zusätzlich gesundheitlich belasten. Für ihn bietet sich eine qualifizierte Betreuung durch einen Arzt an, der Erfahrung mit der Betreuung von beruflich Reisenden hat. Dabei handelt es sich entweder um den von der Ärztekammer zugelassenen Tropenmediziner oder den Arbeitsmediziner.

Gesundheitsgefahren in Risikogebieten

Der Arbeits- und Umweltmediziner Dr. Eckhard Müller-Sacks nennt die vier wichtigsten Risiken, die bei Auslandsreisen in gesundheitlich bedenkliche Gebiete drohen:

1. Durchfallerkrankungen

Wir haben es bei Auslandserkrankungen am häufigsten mit Durchfällen zu tun, die einen bestenfalls für einige Tage lahm legen, schlimmstenfalls Folgeerscheinungen nach sich ziehen. Dabei können sie relativ einfach vermieden werden, wenn sich der Reisende strikt an die Empfehlungen hält. Bei konsequentem Verzicht auf Eiswürfel, Mayonnaise, Meeresfrüchte und rohe Salate, der Einnahme ausschließlich frisch gekochter Speisen und häufigem Händewaschen wird das Risiko einer Darminfektion weitestgehend reduziert. Das gilt auch für Cholera, Typhus und Shigellenruhr.

2. Malaria

Selbst bei Malaria ist die sogenannte Expositionsprophylaxe der erste und beste Schutz. Dazu muss man wissen, dass das Risiko, von einer Mücke gestochen zu werden, ab etwa 17 Uhr besonders hoch ist. Das heißt: ab dieser Tageszeit nur mit einer Extraportion Mückenschutz und heller, weiter Kleidung, die Arme und Knöchel bedeckt, ins Freie gehen. Und nachts immer unter dem Moskitonetz schlafen. Der beste Schutz ist, gar nicht gestochen zu werden.

3. HIV-Infektion

Probleme, mit denen wir immer wieder konfrontiert werden, sind ungeschützter Sexualverkehr und Suchtprobleme. Auch das gehört zum Aufgabenbereich eines G-35-befähigten Arbeitsmediziners. Wenn Arbeitnehmer nach Osteuropa entsandt werden, klären wir sie auf, dass dort der schnellste Anstieg von HIV-Erkrankungen zu verzeichnen ist. Viele sind dann völlig überrascht. Sie müssen wissen, dass schon beim Friseurbesuch Vorsicht geboten ist, da es zu Hautverletzungen kommen kann. Wer denkt schon an diese Möglichkeit einer Ansteckungsgefahr?

4. Psychische Probleme

Bei beruflichen Langzeitaufenthalten im Ausland treten nicht selten Suchtprobleme, Angst und Depressionen auf. Fern von Familie, Freunden und vertrauten Kollegen und in der Monotonie eines Hotelzimmers kommt es dreimal so oft zu psychischen Störungen wie bei Beschäftigten, die in der Heimat arbeiten. Solche Aspekte sind fester Bestandteil unserer Beratung. Wenn es dennoch dazu kommt, hilft unsere Hotline, über die der Hilfesuchende jederzeit Rat bekommen kann. Im Extremfall muss eine Rückholung erfolgen.

Umsetzung: Vorsorge treffen für den Notfall

Eine Betreuung beruflich Reisender durch einen befähigten Arbeitsmediziner beginnt im Übrigen mit einer adäquaten arbeitsmedizinischen Betreuung bereits im Heimatland, wird fortgesetzt im Rahmen der Notfallplanung, geht über eine Dokumentation privater Daten für den Fall der Fälle, setzt sich fort mit Beratung und Untersuchung, Impfung, Reiseapotheke, Hotline und Nachuntersuchung. Gleichzeitig ist der Arbeitsmediziner auch Ansprechpartner für alle sonstigen Probleme.

Unternehmen, Institutionen, Behörden und Hilfsorganisationen, die regelmäßig Mitarbeiter in Risikogebiete entsenden, wird empfohlen, mit dem Betriebsarzt ein Notfallmanagement einzurichten. Damit ist man im Krankheitsfall eines Mitarbeiters im Ausland darauf vorbereitet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dazu gehören Informationen über Krankenhäuser und Arztpraxen vor Ort, wo der Mitarbeiter behandelt werden kann. Wichtig ist aber auch, dass von vorneherein feststeht, welche Rettungsorganisation einen erkrankten Mitarbeiter zur weiteren Behandlung auf dem schnellsten Wege ins Heimatland transportieren kann – ob per Ambulanzflieger (bis 4 000 Kilometer) oder per Linienflug mit einem „Patient Transport Compartment“ (Patiententransportabteil, mit dem es möglich ist, Intensivpatienten mit einer normalen Linienmaschine zu transportieren).

Info

Weiterführende Links zur Reisemedzin

Centrum für Reisemedizin

Das CRM Centrum für Reisemedizin ist ein unabhängiges, anerkanntes Fachinstitut, das seit dem Jahre 2005 zur Thieme Verlagsgruppe gehört. Das CRM trägt Informationen über Infektions- und andere relevante Gesundheitsrisiken aus aller Welt zusammen und wertet sie aus. Ärzte und Apotheken können auf die daraus entwickelten Fachinformationsdienste für ihre reisemedizinische Gesundheitsberatung zurückgreifen.

www.crm.de

Auswärtiges Amt

Der Gesundheitsdienst des Auswärtigen Amts informiert Sie umfassend zum Thema Reisen und Gesundheit. Die Informationen können jedoch ein Gespräch mit Ihrem Hausarzt oder einem Facharzt nicht ersetzen. Lesen Sie bitte die Nutzungsbedingungen aufmerksam durch und beachten Sie diese. Über eventuelle epidemologische Entwicklungen in einzelnen Ländern können Sie sich auf der jeweiligen Länderseite informieren.

www.auswaertiges-amt.de

interMEDIS GmbH

Die reisemedizinische Fachredaktion für „fit for travel“ richtet sich in erster Linie an Privatreisende, enthält aber Informationen, die auch für Geschäftsreisen relevant sind.

www.fit-for-travel.de

B·A·D-Reisemedizinischer Dienst

Der B·A·D informiert zu allen relevanten Themen, wie etwa der medizinischen Versorgung und der politischen Lage im Reiseland. Ein zentrales Thema ist das besonnene Verhalten des Reisenden, das neben der medizinischen Vorbeugung, wie Impfungen und medikamentöser Malaria-Vorbeugung, den besten Schutz darstellt.

www.die-reisemedizin.de

Hinweis:

Der Text der „Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV)“ steht zum Abruf bereit unterwww.arbeitssicherheit.de, Webcode 19696

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