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Kring, Arbeitssicherheitsjournal 2009, 13
Nanopartikel am Arbeitsplatz – Es gilt das Vorsorgeprinzip

Dr. Friedhelm Kring

Kring: Nanopartikel am Arbeitsplatz – Es gilt das Vorsorgeprinzip - Arbeitssicherheitsjournal 2009 Heft 3 - 13

Nanomaterialien kommen heute in der Medizin, aber auch z.B. bei Hightech-Stoffen für persönliche Schutzausrüstungen zum Einsatz. Den sicheren Umgang mit Nanomaterialien am Arbeitsplatz beleuchtete eine 6-teilige Vortragsreihe unter Federführung der DGUV im Rahmen der A+A am 5.11. in Düsseldorf.

Nach einer Einführung in die Thematik stellte Dr. Markus Berges vom BGIA an den Beispielen einer TiO2-Abfüllstation und der Herstellung von Kohlenstoff-Nano-Röhrchen (CNT) die Problematik der Erfassung und Bewertung von Nanopartikeln vor: Allein die Anzahl der Partikel pro cm2 Luft sagt noch nichts über Gefährlichkeit und Toxikologie, auch Größe und Dichte der Teilchen spielen eine Rolle. Außerdem gelte: „Nano ist nicht gleich Nano“, denn Titandioxide z.B. kommen in unterschiedlichen Formen vor, Partikel lagern sich zu (lockeren) Agglomeraten oder (festen) Aggregaten zusammen und Nano-Röhrchen können Knäuel bilden.

Als Anforderungen an einen vorläufigen Beurteilungsmaßstab nannte Berges die Anwendung des Vorsorgeprinzips und die Berücksichtigung des Stands der Technik. Auch müsse ein vorgeschlagener Beurteilungswert unter messtechnischen Aspekten eine einfache Überwachung erlauben. SMPS (Scanning Mobility Particle Sizer) gilt als Referenzmethode für die Erfassung der Partikelanzahlkonzentration, ist jedoch zeitaufwendig und – ebenso wie elektronenmikroskopische Analysen – für Routineuntersuchungen im Betrieb wenig tauglich. Für die schnelle Lecksuche eignen sich Kondensationskeimzähler (CPC). Einfachere Messgeräte, aber auch Sammel- und Analysemethoden müssen noch entwickelt werden. Käufern von Nanomaterialien rät Dr. Berges, nach der Herstellerdeklaration zu fragen.

Dr. Dirk Dahmann vom Institut für Gefahrstoff-Forschung in Bochum informierte anschließend über das deutsche NanoCare-Projekt, insbesondere Untersuchungen zur Freisetzung von ultrafeinen Stäuben durch nanoskalige Materialien. Dabei wurden mit einem an der EN 15051 angelehnten sehr empfindlichen Messverfahren (Fallversuch unter Reinraumbedingungen) deutliche Unterschiede im Staubungsverhalten gefunden. Der bisher verwendete Ansatz „Feine Pulver stauben mehr als grobe Pulver“ sei zwar durchaus plausibel, könne im Einzelfall am Arbeitsplatz jedoch völlig falsch sein. Während mehr als die Hälfte der getesteten Produkte kein signifikantes Staubungsverhalten zeigte, wurden in anderen Fällen z.T. deutlich erhöhte Partikelanzahlkonzentrationen (in einem Fall mehr als 106 Partikel pro cm2) nachgewiesen. Das Staubungsverhalten bleibt wichtiger Faktor in der Risikoabwägung, bei einer hohen Exposition muss jedoch die toxikologische Bewertung hinzukommen.

Einsatz von Nanomaterialien bei Kunststoffen

Zwei weitere Vorträge berichteten aus der betrieblichen Praxis. Dr. Jacques Ragot (Bayer MaterialScience AG) stellte Baytubes vor, mehrwändige Graphit-Röhrchen mit hochinteressanten Einsatzmöglichkeiten. Kunststoffe werden durch Baytubes leichter und gleichzeitig stabiler oder sogar elektrisch leitfähig. Durch den Vergleich zu Asbest gerieten die MWCNT (multi-walled carbon nanotubes) jedoch in die Schlagzeilen. Ragot stellte das toxikologische Testprogramm (nach OECD-Richtlinie unter GLP) für Baytubes vor, welches keine Hinweise auf faserpathogene Wirkungen ergab. Ebenso wenig wurden in ökotoxikologischen Tests Anzeichen für Umweltgefährdungen gefunden. Dr. Ragot betonte, dass CNT ein Sammelbegriff für eine sehr diverse Produktfamilie ist und für die dünnen, kurzen und verknäuelten Baytubes keine asbestähnliche Problematik zu erkennen sei. Auch auf Zuhörerfragen nach potenziellen Gefährdungen bei der Formgebung von Halbzeugen (Schleifen, Schneiden usw.) konnte er insofern Entwarnung geben, dass nach derzeitigen Befunden bei der Abrasion keine Nanopartikel freigesetzt werden.

Dr. Martin Klenke von der NanoGate AG stellte das EU-Programm NanoSafe2 vor und erläuterte Schutzmaßnahmen bei typischen Arbeitsplatz-Szenarien wie Herstellung, Weiterverarbeitung, Transport oder Umlagerung. Als zentrale Punkte einer Strategie der Schutzoptimierung nannte er geeignete Filterverfahren (HEPA-Filter, was aber teuer werden könne), Installation von dem Arbeitsplatz angepassten Abluftanlagen, eine vollständige Überwachungskette für alle Verfahrenswege und – sofern möglich – die Substitution pulverförmiger Stoffe durch eine flüssige Form (Dispersion, Suspension). Am Beispiel eines Silanisierungsverfahrens wies er die Wirksamkeit einer Absaugung nach und forderte, kritische Arbeitsplatzdistanzen zu bestimmen, da in Sprühprozessen erhebliche Mengen an Nanopartikeln freigesetzt werden können.

Dr. Henning Wriedt (Beratungs- und Informationsstelle Arbeit & Gesundheit, Hamburg) wies im letzten Vortrag auf „deutliche Warnhinweise“ zu gesundheitlichen Wirkungen durch Nanopartikel und Ultrafeinstäube hin. Er betonte die Bedeutung des Vorsorgeprinzips, welches insbesondere über Gefährdungsbeurteilungen umzusetzen sei. Da die Angaben in Sicherheitsdatenblättern nicht nanospezifisch sind, forderte er, Hersteller von Nanomaterialien sollten in einem erweiterten Sicherheitsdatenblatt (eSDB) Expositionsszenarien aufnehmen und auf die Notwendigkeit von Gefährdungsbeurteilungen hinweisen. Diese seien bei Nanomaterialien auch dann durchzuführen, wenn kein Gefährlichkeitsmerkmal zuzuordnen sei. Abschließend stellte Wriedt kurz die Arbeitsaktivitäten des AGS (Ausschuss für Gefahrstoffe) vor und wies auf online verfügbare Hilfen für Unternehmen hin.

Fazit: Noch keine Arbeitsplatzgrenzwerte in Sicht

Insgesamt wurde in den Präsentationen und Diskussionsbeiträgen deutlich, dass sich eine Vielzahl von Akteuren und Gremien auf nationaler wie internationaler Ebene intensiv mit potenziellen Gesundheitsrisiken von Nanomaterialien am Arbeitsplatz beschäftigten. Gerade weil jedoch immer deutlicher wird, wie wenig wir über die Gefährlichkeit gesichert wissen, ist eine Vorsorge am Arbeitsplatz durch Schutz vor Einatmen, Berühren oder Verschlucken wichtig und – wie mehrfach deutlich wurde – auch möglich.

Den Nanomaterialien, faszinierend und noch immer geheimnisvoll, wird eine große Zukunft prophezeit, sie stellen Messtechniker wie Regulierungsbehörden jedoch vor ganz neue Herausforderungen. Nicht nur, dass standardisierte Analyseverfahren und Bewertungsmaßstäbe erst entwickelt werden müssen. Die Metrik selbst ist derzeit noch in der Diskussion, also, ob als Bezugsgröße die Masse, die Oberfläche, die Dichte oder die Anzahl von Partikeln erfasst werden soll. MAK-ähnliche Arbeitsplatzgrenzwerte sind daher noch nicht in Sicht, vorerst können Handlungsempfehlungen und (freiwillige) Leitfäden (z.B. von BAuA und VCI) betroffenen Unternehmen als Orientierung dienen.

Hinweis:

Links zu von den Referenten genannten Webseiten und Projekten unter www.arbeitssicherheit.de, Webcode 17123

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