Fachbeitrag  Recht und Urteile, Arbeitssicherheit  

Psychische Belastungen: Kein »plötzlicher« Dienstunfall im Polizeidienst

Urteil zu psychischen Belastungen im Polizeitdienst
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Ein Polizeibeamter mit psychischer Vorerkrankung zeigt aufgrund von Belastungen durch seine spezielle Sachbearbeitertätigkeit einen Dienstunfall an. Über den Sachverhalt musste am Ende das Gericht entscheiden. 

Psychische Belastungen im Berufsleben, so die ernüchternden Zahlen aus dem jüngsten Arbeitsschutzbericht der Bundesregierung für das Jahr 2022 (BT-Drs. 20/9835 vom 14.12.2023, Seite 60 Abb. 26), sind eine stetige Herausforderung für die betriebliche Praxis.  

Knapp 70.000 Frühverrentungen wegen psychischer Belastungen bedeuten circa 42,3 Prozent aller rund 164.000 Frühverrentungsfälle in 2022 in Deutschland. Besonders augenfällig ist dabei der hohe Anteil bei Frauen (41.546 von insgesamt 85.719 Frühverrentungen = 48,5%) gegenüber einer deutlich niedrigeren Zahl bei männlichen Beschäftigten (27.751 von 78.188 Frühverrentungen = 35,5 %). 

Aber selbst, wenn nicht die Frührente als Ultima Ratio im Raume steht, müssen 132 Millionen Fehltage wegen psychischer Erkrankungen im Jahr 2022 in Deutschland als ernste Mahnung verstanden werden (siehe dazu: »Steigende Fehltage wegen psychischer Erkrankungen«), auf die Verantwortliche in Wirtschaft, Verwaltung und Politik reagieren müssen. 

Dass aber gleichwohl nicht jede Anzeige eines vermeintlichen Dienstunfalls unter dem Aspekt »Psychische Belastung« auch quasi automatisch zu einer entsprechenden Anerkennung durch die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung führt, musste unlängst ein Polizeibeamter in Niedersachsen erfahren, der im Ergebnis erfolglos, vor dem Verwaltungsgericht (VG) Braunschweig auf Anerkennung einer psychischen Belastung als Dienstunfall geklagt hatte (Urteil vom 10.08.2023, Aktenzeichen 7 A 140/22).  

Der Fall 

Der im Jahre 1979 geborene Kläger war bis Dezember 2021 als Polizeikommissar bei der Polizeidirektion (PD) Braunschweig tätig. Bereits seit 2011 bestand beim ihm eine chronische psychische Erkrankung, die medikamentös behandelt wurde. Von Mai bis August 2017 wurde er im zuständigen Fachkommissariat im Rahmen einer Wiedereingliederung als Sachbearbeiter zur Auswertung von Kinder- und Jugendpornographie eingesetzt. 

Im März 2018 zeigte der Kläger bei seiner vorgesetzten Behörde einen Dienstunfall an. Als Unfallursache benannte er die im fraglichen Zeitraum wahrgenommene Sachbearbeiter-Tätigkeit. Dazu legte er gemäß Anforderung seiner vorgesetzten Dienststellen Ende 2020 ein fachärztliches Attest vor. In diesem Attest wurde dem Kläger gutachterlich bestätigt, dass er seit der einschlägigen Sachbearbeitertätigkeit über eine Akzentuierung der Schlafstörungen mit Albträumen und bestehenden Intrusionen leide, bei denen sich auch nach einer Therapie keine Besserung ergeben hätte. 

Dem entgegen attestierte die zuständige Polizeiärztin im Juli 2021, dass es sich um keinen Dienstunfall gehandelt habe. Die Beschwerden seien eher in der Persönlichkeitsstruktur des Beamten anzusiedeln.  

Nach einem längeren polizeiinternen Verwaltungsverfahren mit mehreren Untersuchungen, anschließenden Bescheiden, Widersprüchen und abschlägigen Widerspruchsbescheiden erhob der Beamte schließlich im Juni 2022 Klage auf Anerkennung eines Dienstunfalls, in der er vor allem darauf abstellte, dass es keinen inneren Zusammenhang zwischen seiner Vorerkrankung und der belastenden Sachbearbeiter-Tätigkeit als Unfallauslöser gegeben habe. Letztere müsse mithin isoliert betrachtet werden. 

Die Entscheidung 

Anders als in dem für die gewerbliche Wirtschaft einschlägigen Recht der gesetzlichen Unfallversicherung richten sich die Feststellung eines Arbeitsunfalls oder gar einer Berufskrankheit nicht nach den Vorschriften der §§ 7 - 9 SGB VII sondern nach dem jeweiligen Landesbeamtenrecht, hier also nach dem niedersächsischen Beamtenversorgungsgesetz (NBeamtVG). 

Nach dessen einschlägiger, mit dem Bundesrecht (BundesBeamtVG) völlig identischer Norm (§ 34 Abs. 1 Satz 1) ist ein Dienstunfall ein »auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist«. 

Unter Rückgriff auf die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungen und auch des Eingeständnisses der Polizeibehörden, dass der akute Gesundheitsschaden auf die dienstliche Tätigkeit im Sachgebiet »Kinder- und Jugendpornographie« zurückgehe, hat das VG Braunschweig in seinem Urteil, für das auch keine Berufung zugelassen wurde, gleichwohl das Vorliegen eines Dienstunfalls verneint, mit entsprechender Konsequenz für den vom Kläger geltend gemachten Schaden. 

Das Verwaltungsgericht hat den geltend gemachten Anspruch an dem aus seiner Sicht fehlenden Tatbestandsmerkmal der »Plötzlichkeit« scheitern lassen. So stellt eine dienstliche Tätigkeit, die sich über mehrere Tage oder Monate erstreckt und zu einem Körperschaden führt kein plötzliches Ereignis dar, mit entsprechend negativer Konsequenz für die Frage nach einem Dienstunfall.  

Dabei hat sich das VG Braunschweig auf die einschlägige und im Ergebnis gleichgelagerte Rechtsprechung anderer auch höchstinstanzlicher Gerichte gestützt (zuletzt Bundesverwaltungsgericht vom 12. Dezember 2019 – 2/1/19 juris Rn. 23 mit Hinweis auf Verwaltungsgerichte in Niedersachsen, Bayern und NRW). 

Das VG Braunschweig hat es in seiner Entscheidung jedoch nicht beim bloßen »Abarbeiten« von gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen belassen, sondern dies auch mit einem deutlichen Hinweis an den Bundesgesetzgeber verknüpft, in dem es feststellt: 

»Zwar mögen Beamtinnen und Beamte, die dienstlich mit der Auswertung von Kinder- und Jugendpornographie befasst sind, der Gefahr an bestimmten psychischen Krankheiten zu erkranken ausgesetzt sein. Eine Gleichstellung dieser dienstlichen Tätigkeit mit einem Dienstunfall setzt jedoch darüber hinaus voraus, dass die spezifische Erkrankung im Zeitpunkt der Erkrankung in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) genannt wird. Dies war bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Gerichtsverhandlung (10.08.2023) nicht der Fall. Damit scheidet auch eine Gleichstellung mit einem Dienstunfall aus.« 

Rechtliche Einordnung 

Die Entscheidung ist, wenngleich für den Kläger bedauerlich, in ihrer dogmatischen Konsequenz folgerichtig und nicht zu beanstanden. Ungeachtet dessen wird der Gesetzgeber aber gefordert sein, den »Wink mit dem Zaunpfahl« aufzunehmen und sich mit dem BKVO-Recht im Licht der jüngsten Judikatur zu befassen.  

Auch die statistische Entwicklung der Frühverrentungen aus psychischen Belastungen anhand des jüngsten Arbeitsschutzberichtes der Bundesregierung lassen legislatives Handeln mehr als geboten erscheinen. 

Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg

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Über den Autor

Dr. jur. Kurt Kreizberg
Rechtsanwalt in Solingen
seit 2013: Lehrbeauftragter für Arbeits- und Sozialrecht an der FOM Essen
seit 2016: Autor des Loseblatt-Kommentars (Carl Heymanns Verlag)
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