Fachbeitrag  Arbeitssicherheit  

Schutz vor Gewalt am Arbeitsplatz

Wenn aus einem Gesprächspartner ein Gesprächsgegner wird: Immer wieder kommt es in kundenintensiven Berufen zu gewalttätigen Zwischenfällen. Kunden provozieren, randalieren oder bedrohen Angestellte. arbeitssicherheit.de hat mit einer ehemaligen Personenschützerin darüber gesprochen, welche Berufe besonders »gefährlich« sind und was Beschäftigte tun können, um sich selbst so gut wie möglich vor schwierigen Situationen zu schützen.


arbeitssicherheit.de: Sehr geehrte Frau Prochaska, vorweg eine Frage zum Verständnis: Wo fängt Gewalt am Arbeitsplatz eigentlich an? Über welche Art von Gewalt reden wir hier?

Frau Prochaska: Lassen Sie mich diese Frage genau anders herum beantworten, indem ich zunächst den Fokus auf die Sicherheit lege. Immer wenn ich Teilnehmer meiner Sicherheitsseminare frage, was sie unter Sicherheit verstehen, geht es um Gefühle. »Ich will keine Angst haben müssen«, ist eine der Standardantworten. Meine eher sachliche Definition verblüfft zu Anfang: »Sicherheit ist ein Zustand, in dem das verbleibende Restrisiko als akzeptabel eingestuft wird.« Erst im Verlauf der Schulung wird die Tragweite dieser Aussage klar. Das Bedürfnis nach Sicherheit ist keine festgelegte Größe, sondern individuell. Je nachdem welche Vorerfahrungen wir gemacht haben und in welcher Lebenssituation wir gerade sind.

Aber, um auf ihre Frage zurück zu kommen: Ein scharfer Ton, lautstarke Auseinandersetzungen und verbale Angriffe am Arbeitsplatz sind für viele Menschen erste Anzeichen von Gewalt.

Gibt es Berufe, die sich als Risikojobs bezeichnen lassen, wenn es um Übergriffe durch betriebsfremde Personen geht?

Interessanterweise habe ich häufig mit Mitarbeitern aus sozialen Berufen zu tun. Ich habe großen Respekt vor dieser Berufsgruppe, die täglich mit verhaltensauffälligen und daher herausfordernden Klienten zu tun hat. Aber auch Angestellte von Behörden machen risikoreiche Jobs, da sie den Bürgern aus »guten« Gründen etwas wegnehmen. Sei es Geld, die Arbeitserlaubnis, den Führerschein, Beschränkungen in jeglicher Form sowie Vergünstigungen. Personen, die andere beschränken oder unliebsame Entscheidungen treffen und durchsetzen müssen sollten sich Gedanken um ihre persönliche Sicherheit machen.

Was macht gerade diese Tätigkeiten »gefährlicher« als andere?

Wer einmal etwas bekommen hat, will es wieder haben. Das Anspruchsdenken von Kunden wächst. Die Strategien etwas einzufordern sind nicht nur freundlich. Hinzu kommt das Bedürfnis, anderen Menschen die Verantwortung zu übergeben. »Du bist schuld!«, wer von ihnen hat diesen Satz nicht auch schon einmal im Brustton der Überzeugung ausgesprochen.

Wenn Menschen in Situationen geraten, in denen Sie sich nicht mehr zu helfen wissen, wird geschrien, gedroht, die Fäuste geballt und vielleicht geht ihr Klient sogar noch einen Schritt weiter. Wenn der Druck zu groß wird, braucht es ein Ventil um ihn abzulassen.

Welche technischen Maßnahmen gibt es denn, um gewalttätige Übergriffe zu vermeiden?

In Behörden und Ämtern setzt sich immer mehr eine bestimmte Form von Notfall-Alarmierung durch. Sie wird ausgelöst durch den Druck einer oder mehrerer Tasten am Telefon oder per Computertastatur. Dadurch werden Kollegen aus den angrenzenden Büros und die Chefs alarmiert und wissen in Sekundenschnelle, dass ein bestimmter Mitarbeiter Hilfe braucht. Wichtig bei allen technischen Maßnahmen sind immer die Fragen: Was passiert nach der Alarmierung? Wie ist das Prozedere bei einem Fehlalarm? Ein genauer und praktisch erprobter Maßnahmenplan ist unabdingbar.

Können Mitarbeiter selbst etwas tun, um sich zu schützen?


Eine Menge, gerade auch im Vorfeld. Seien sie aufmerksam und nehmen sie kleinste Veränderungen wahr. Zum Beispiel während eines Kundengesprächs: Ändert sich der Tonfall, überschreitet ihr Gegenüber die üblichen Distanzgrenzen, vermeidet ihr Klient Blickkontakt? Wird aus ihrem Gesprächspartner etwa ein Gesprächsgegner? Achten sie jederzeit auf ihr Bauchgefühl. Ziehen sie frühzeitig Kollegen zu Rate oder führen sie schwierige Gespräche zu zweit. Vermeiden sie allzu private Situationen und schaffen sie Öffentlichkeit, indem sie Türen offen stehen lassen. Seien sie professionell freundlich, verlässlich und gut strukturiert.

Und geben sie Menschen in eskalierenden Situationen das, was sie unbedingt wollen. Hier stutzen die Teilnehmer meiner Seminare meist und fragen sich, woher ich weiß, was ihre schwierigsten Kunden oder Mitarbeiter verlangen. Obwohl ich kein Hellseher bin, kenne ich eins der größten menschlichen Bedürfnisse - auch aus eigener Erfahrung. Es ist der unbedingte Wille des Recht-haben-Wollens.

Können Sie das bitte anhand einer konkreten Situation erläutern?

Stellen sie sich eine Situation vor, in der sie angeschrien werden. Keinesfalls geben sie ihrem aufbrausenden und aggressiven Klienten Recht, was seine Gefühlslage betrifft. Sondern geben sie ihm Recht in der Sache. Sollte er Ihnen zum Beispiel vorwerfen, dass sie ihm nicht zuhören und er immer wieder das Gleiche erzählen muss und er deshalb ziemlich wütend ist, dann stimmen sie ihm nur bei Sachaussagen zu. In diesem Fall lautet diese: Sie hören nicht zu. Eine Antwort von ihnen könnte so formuliert sein: »Stimmt, es kann sein, dass ich gerade nicht richtig zugehört habe.« Achten Sie auf die korrekte Wiedergabe der Aussage. Interpretieren sie nichts hinein, erfinden sie nichts hinzu und antworten sie aufrichtig ernsthaft. Ein schnell Dahingesagtes: »Ja, ja, ich gebe ihnen Recht«, um wieder meine Ruhe zu haben, funktioniert nicht.

An wen können sich betroffene Mitarbeiter wenden, um Hilfe zu erhalten?

Es gibt Sicherheitsschulungen, entweder von privaten Anbietern oder der Polizei, an denen Beschäftigte teilnehmen können. Und Probleme sollten möglichst dann gelöst werden, wenn sie noch klein sind. Dies ist deutlich einfacher, als sich im Extremfall körperlich wehren zu müssen.

Welche Pflichten kommen dem Arbeitgeber zu?

Die Fürsorgepflicht verpflichtet jeden Vorgesetzten (Fach- /Dienstaufsicht) zur unmittelbaren Unterstützung bei akuter Bedrohung.

Welche rechtlichen Grundlagen oder berufsgenossenschaftliche Schriften setzen sich mit diesem Thema auseinander?

Als Maßnahme kann der Arbeitgeber oder der Amtsleiter das Hausrecht ausüben und ein Hausverbot erteilen. Gleichzeitig ist der Arbeitgeber im Rahmen seiner Verpflichtungen laut Berufsgenossenschaft für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer und der erforderlichen Maßnahmen verantwortlich. Diese Verpflichtung schließt die Maßnahmen zur Verhütung berufsbedingter Gefahren, die Information und Unterweisung, sowie die Bereitstellung einer geeigneten Organisation und der erforderlichen Mittel, mit ein.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Zur Person: Heidi Prochaska ist gelernte Personenschützerin und begleitet seit vielen Jahren Menschen als Trainerin mit den Schwerpunkten persönliche Sicherheit, Selbstbehauptung und Rhetorik. Unter dem Titel »Sicherheit ist Kopfsache« bietet sie Sicherheitsschulungen an. Infos dazu erhalten Sie unter www.aendere-dich.de.


Text: Das Interview führte Silke Jarzina
Fotos: © DDRockstar - Fotolia.com, Atlatus Verlag
Veröffentlichung: Dezember 2013

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