Fachbeitrag  Arbeitssicherheit  

Kennzahlen im Arbeitsschutz - Teil II: Präventionsbezogene Kennzahlen

Die im ersten Teil der Serie »Kennzahlen im Arbeitsschutz« vorgestellten Kennzahlen beschreiben die Folgen von Unfällen. Zur Verminderung der Unfallzahlen lässt sich aber auch ein präventiver Ansatz verfolgen. Im zweiten Teil stellen wir Ihnen präventionsbezogene Kennzahlen und die Entwicklung einiger Kennzahlen in Deutschland und anderen Ländern vor.


Präventionsbasierte Kennzahlen zur Messung der Arbeitsschutz-Qualität

Aus den Maßnahmen zur Prävention, die ein Unternehmen umsetzt, lassen sich ebenfalls messbare Kennzahlen definieren. Allerdings mit einer Einschränkung: In der Regel lassen diese Kennzahlen nur eine Aussage über den Aufwand in Zeit oder Geld, nicht jedoch über die Qualität der Präventionsmaßnahmen zu.

Ein ganz wesentliches Element der Unfallverhütung sind Arbeitssicherheitsschulungen der Beschäftigten. Daraus lässt sich der mittlere Schulungsaufwand pro Beschäftigtem ableiten.

 

Mittlerer Schulungsaufwand pro Beschäftigten

Gesamtdauer der von den Beschäftigten besuchten Schulungsveranstaltungen pro Gesamtzahl der Beschäftigten

In Deutschland muss jeder Mitarbeiter mindestens einmal im Jahr an einer Schulung im Arbeitsschutz teilnehmen. Dies gilt auch für Büromitarbeiter. Für die Verantwortlichen im Arbeitsschutz ist es oft eine Herausforderung, die Mitarbeiter und deren Vorgesetzte zur Teilnahme an den Schulungen zu motivieren. Die Kennzahl bildet daher gut die Anstrengungen einer Organisation ab, Arbeitsschutzmaßnahmen im Unternehmen zu etablieren. Theoretisch müsste der Aufwand mindestens bei einer Stunde pro Mitarbeiter und Jahr liegen.

Kennzahlen aus der Dokumentation wiederkehrender Prüfungen ableiten

Wiederkehrende Prüfungen aller Elemente von verwendeten technischen Einrichtungen sind für den sicheren Betrieb von Anlagen unerlässlich. Sicherheitsrelevante Inspektionen und Wartungen sind teilweise sogar im Regelwerk oder in Genehmigungsauflagen ausdrücklich vorgeschrieben. Mithilfe einer geeigneten Dokumentation lässt sich aus diesem Umstand eine aussagekräftige Kennzahl ableiten, welche die sicherheitstechnische Qualität der Instandhaltung widerspiegelt: den Erfüllungsgrad für wiederkehrende Prüfungen.

 

Erfüllungsgrad wiederkehrender Prüfungen

Anteil der termingerecht durchgeführten Prüfungen bezogen auf die Gesamtzahl der erforderlichen Prüfungen in einem vorgegebenen Zeitraum

Verschiedene Gründe führen manchmal zur Verschiebung von wiederkehrenden Prüfungen: Entweder wird eine Anlage dringend benötigt und soll daher nicht abgeschaltet werden oder ein Ersatzteil fehlt. Je häufiger die Verschiebungen vorkommen beziehungsweise je höher die Abweichungen von den geplanten Prüfungsterminen ist, desto schlechter ist das Sicherheitsbewusstsein eines Betriebes .

Sicherheitsbewusste Organisationen führen regelmäßig »SOS«-Rundgänge durch. Die Abkürzung »SOS« steht dabei als Kürzel für Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit. Teilnehmer sind im Idealfall die operativ für die Arbeitssicherheit verantwortlichen Personen, zum Beispiel Betriebsleiter, Betriebsingenieure oder Sicherheitsbeauftragte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Mitglieder des Betriebsrates.

Mängelliste als Grundlage für die Qualitätsbewertung

Identifiziert diese Gruppe sicherheitstechnische Mängel bei ihrer Begehung, werden diese in einer Liste erfasst und mit einem Termin zur Erledigung versehen. Darüber hinaus können die Mängel mit einer Prioritätsangabe und mit dem Namen eines Verantwortlichen für die Beseitigung des Mangels versehen werden. Die gefundenen Mängel müssen insbesondere bei hoher Priorität zügig und termingerecht beseitigt werden. Aus dem prozentualen Anteil der Abarbeitung dieser Liste für einen oder mehrere Betriebe oder auch einen ganzen Standort kann wiederum eine aufschlussreiche Kennzahl gebildet werden: der Erfüllungsgrad der Mängelbeseitigung.

 

Erfüllungsgrad Beseitigung festgestellter Mängel

Anteil der termingerecht beseitigten Mängel bezogen auf die Gesamtzahl der festgestellten Mängel

Diese Kennzahl lässt sich natürlich auch nach Prioritäten differenziert darstellen.

Die termingerechte Beseitigung festgestellter Mängel hat besondere Bedeutung, da Unfälle, die aus solchen Mängeln resultieren, beweisen, dass die Beteiligten wissentlich eine erkannte Gefahr nicht beseitigt haben. Im Eifer des Tagesgeschäftes wird die konsequente Abarbeitung gelegentlich vernachlässigt. Es empfiehlt sich daher, auch nur Mängel aufzulisten, die tatsächlich eine Gefahr darstellen.

Die Größe des Unternehmens begrenzt die Wahl der Kennzahlen

Theoretisch ist es auch denkbar, Anzahl und Höhe der Versicherungsschäden einer Organisation zu erfassen und auf den Versicherungswert beziehungsweise den Wiederbeschaffungswert der Anlagen zu beziehen. Dies funktioniert allerdings nur bei sehr großen Organisationen. In kleineren Unternehmungen lässt sich keine statistisch signifikante Analyse vornehmen, da die Schäden nicht häufig genug auftreten.

 

Schadenskennzahl

Höhe der Versicherungsschäden bezogen auf den Versicherungswert

Das sicherheitstechnische Niveau lässt sich auch noch durch die Erfassung weiterer Ereignisse messen. Damit die Zahlen aussagekräftig sind, muss ebenfalls eine gewisse Größe der Organisation erreicht sein.

Für einen größeren Industriestandort, zum Beispiel in Chemie oder Maschinenbau, lassen sich folgende Kennzahlen bilden:

  • Anzahl der Alarmierungen der Feuerwehr, differenziert nach Fehlalarmen und tatsächlichen Gefahrensituationen,
  • Anzahl der Einsätze eines Notarztes,
  • Anzahl der Einsätze von Rettungskräften, die als Massenanfall von Verletzten (MAnV) von den Rettungsorganisationen eingestuft wurden,
  • Anzahl von Ereignissen, die als Störfall nach Störfallverordnung eingestuft werden (nur Deutschland).

Diese Kennzahlen eignen sich allerdings nur dazu, die zeitliche Entwicklung eines Standortes zu verfolgen. Es macht keinen Sinn, sie auf die Zahl der Mitarbeiter oder den Wert der Anlagen zu beziehen. Schließlich dürfte die Entwicklung der Anzahl von Störfällen nur für sehr große Organisationseinheiten aussagekräftig sein, da sonst die Ergebnisse statistisch nicht signifikant sind.

Auswertung der Kennzahlen

In den folgenden Beispielen sind einige Entwicklungen der Kennzahlen dargestellt.

Entwicklung meldepflichtiger Unfall, neuer Arbeitsunfähigkeitsrenten und Todesfälle pro 1000 Vollarbeiter in Deutschland von 1969 bis 2013

Abb. 1: Entwicklung meldepflichtiger Unfälle, neuer Arbeitsunfähigkeitsrenten und Todesfälle pro 1.000 Vollarbeiter in Deutschland von 1969 bis 2013 [1]

Todesfälle pro 1000 Mitarbeiter für USA, Deutschlanf und Großbritannien

Abb. 2: Todesfälle pro 1.000 Mitarbeiter für USA [5], Deutschland [1] und Großbritannien [6]

Entwicklung der Unfallhäufigkeit

Abb. 3: Entwicklung der Unfallhäufigkeit (Lost Time Injury Rate (LTIR)) der International Assocation of Oil & Gas Producers [7], repräsentiert 3,77 Mrd. Arbeitsstunden von 50 Firmen in 110 Ländern, sowie der World Steel Association [8], repräsentiert Daten von 84 Firmen

Zuverlässige Daten sind aus den Ländern der Europäischen Union, den USA und angelsächsischen Ländern verfügbar. Diese lassen den Schluss zu, dass in entwickelten Industrienationen ein stabiler Trend zu erhöhter Arbeitssicherheit zu beobachten ist.

Ursachen für steigende Sicherheit am Arbeitsplatz

Wahrscheinliche Hauptursachen sind ein verbessertes Sicherheitsbewusstsein, strenger werdende behördliche Auflagen einschließlich ihrer Umsetzung und die Abnahme von manuellen und körperlich belastenden Tätigkeiten. Ein höherer Automatisierungsgrad verlagert die Haupttätigkeit zu weniger gefahrenträchtigen Kontroll- und Überwachungsfunktionen.

Große Unterschiede gibt es auch zwischen verschiedenen Branchen (Abb. 3 und 4), die die Abhängigkeit von der Art der Tätigkeit anzeigen.

Entwicklung der Recordable Injury Rate (RIR) verschiedener Branchen in den USA

Abb. 4: Entwicklung der Recordable Injury Rate (RIR) verschiedener Branchen in den USA [9]

Aber auch die Sicherheitskultur scheint eine wichtige Rolle zu spielen, wie die Unterschiede zwischen Gesamt-Chemieindustrie in den USA und einer Teilmenge von Firmen nach Einführung von »Responsible Care« zeigen, eine weltweite Eigeninitiative der Chemischen Industrie.

Auch innerhalb der Europäischen Union existieren noch erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten.

Vergleich von schweren Unfällen (drei Tage und mehr Ausfallzeit) in den Ländern der Europäischen Union 2010 und 2011

Abb. 5: Vergleich von schweren Unfällen (drei Tage und mehr Ausfallzeit) in den Ländern der Europäischen Union 2010 und 2011, aus [10] entnommen

Auch hier dürften die drei oben genannten Hauptfaktoren die Unterschiede erklären. Es gibt somit noch viel Raum für Verbesserungen, natürlich insbesondere in Ländern, in denen die Zahlen nicht oder nur teilweise erfasst beziehungsweise nicht oder nur geschönt veröffentlicht werden.

Quelle/Text: Norbert Kalkert
Foto: © Photographee.eu - Fotolia.com

Literaturhinweise

[1] Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, DGUV: DGUV-Statistiken für die Praxis, 2013, Bonifatius-Verlag, Paderborn; siehe auch: baua, Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2013, www.baua.de/suga

[2] United States Department of Labor, Occupational Safety & Health Administration, OSHA: OSHA Recordkeeping Handbook, OSHA 3245-03R, Kurzform unter: www.osha.com/recordkeeping/

[3] UK-Health and Safety Executive, HSE: Reporting Accidents and Incidents at Work, INDG453(rev1); www.hse.gov.uk/pubns/indg453.pdf

[4] Government of Canada, Labor Program: Hazardous Occurence
Investigation Recording and Reporting - Pamphlet 7, www.labour.gc.ca/eng/health_safety/pubs_hs/hoir.shtml

[5] Bureau of Labor Statistics (USA): Census of Fatal Occupational Injuries (CFOI) - Current and Revised Data, Rate of fatal work injuries, 2006 - 2013; www.bls.gov/iif/oshcfoi1.htm

[6] Health and safety Executive (UK): Health and Safety Statistics, Annual Report for Great Britain, 2013/2014

[7] OGP Safety Performance Indicators 2013 Data: Report No. 2013S, July 2014

[8] Worldsteel Association: Safety and Health Performance, www.worldsteel.org

[9] American Chemistry Council, Responsible Care: Safety, www.responsiblecare.americanchemistry.com/Performance-Results/Safety#top

[10] Eurostat, Health and safety at work statistics: Number of fatal accidents at work 2010 and 2011 (incidents rates per 100000 persons employed) YB14.png - Statistics Explained

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