Abschnitt 9.2 - 9.2 Allgemeine Auswahlkriterien
Der Gehörschutz wird ausgewählt je nach Arbeitssituationen, Höhe des Tages-Lärmexpositionspegels am Arbeitsplatz, nach Tragekomfort, Einsatzgebiet, aufgrund individueller Besonderheiten (z. B. Kombination mit anderer PSA, wenn Richtungs- oder Warnsignalhören notwendig) und der Akzeptanz des Gehörschutzes.
Der Tragekomfort wird individuell empfunden und beurteilt. Deshalb gibt es nicht einen universellen, für jeden gleichermaßen geeigneten Gehörschutz.
Aber es gibt allgemeine Ratschläge:
Bei Kapselgehörschutz auf geringes Gewicht achten.
An Hitzearbeitsplätzen möglichst keinen Kapselgehörschutz einsetzen.
Gehörschutzstöpsel der Gehörganggröße entsprechend auswählen.
Betroffene Personen in die richtige Handhabung einweisen, das Einsetzen üben lassen.
Die Gebrauchsanleitung beachten.
Hochwertige und geeignete Gehörschutz-Otoplastiken können einen hohen Tragekomfort bieten.
Harte Gehörschutz-Otoplastiken können bei Verformung des Gehörgangs, z. B.
durch starke Drehungen des Kopfes, Druckgefühle erzeugen (besonders bei Überkopfarbeiten).
Auf Rechts-/Links-Anwendung achten.
Vor dem Einkauf größerer Stückzahlen Trageversuche mit wenigen Beschäftigten im Betrieb durchführen.
Richtig ausgewählter Gehörschutz wird von den Beschäftigten im Lärmbereich schnell akzeptiert und gern genutzt.
Der Tages-Lärmexpositionspegel bedingt die erforderliche Schalldämmung für einen ausreichenden Gehörschutz. Die Schalldämmung eines Gehörschutzes ist optimal, wenn der unter dem Gehörschutz verbleibende Tages-Lärmexpositionspegel (Restpegel) zwischen 70 und 80 dB(A) liegt.
Der unter dem Gehörschutz verbleibende Tages-Lärmexpositionspegel L’EX,8h errechnet sich für hoch- und mittelfrequenten Lärm nach folgender Gleichung:
In Gleichung 18 sind die die Werte der entsprechenden Größen aus Tabelle 22 einzusetzen.
Tabelle 22
Größen zur Berechnung des Tages-Lärmexpostionspegel unter dem Gehörschutz
Erläuterung der Größen | ||
---|---|---|
Größe | Einheit | Erläuterung |
L’EX,8h | dB(A) | Tages-Lärmexpostionspegel unter dem Gehörschutz |
LEX,8h | dB(A) | Tages-Lärmexpostionspegel |
M | dB(A) | Vom Hersteller des Gehörschutzes angegebener Schalldämmmungswert für mittelfrequente Geräusche |
Ks | dB(A) | Korrekturwert für den Praxisabschlag |
Wird ein zu stark dämmender Gehörschutz verwendet, können die Sprachverständigung und das Erkennungsvermögen akustischer Warnsignale und informationshaltiger Arbeitsgeräusche beeinträchtigt werden und Isolationsgefühle bei den Beschäftigten ausgelöst werden.
Deshalb sollten bei Restpegeln von weniger als 70 dB(A) die Verständigung und das Warnsignalhören geprüft und das Isolationsgefühl hinterfragt werden.
Kontrollen der tatsächlichen Schutzwirkung von Gehörschutz haben ergeben, dass die bei der Baumusterprüfung erzielten Dämmwerte in der Praxis meist nicht erreicht werden.
Entsprechend der DGUV Regel 112-194 "Benutzung von Gehörschutz" sind deshalb folgende Korrekturwerte für die HML-Werte (H-high - M-medium - L-low = hohe, mittlere und niedrige Werte) zu berücksichtigen:
Tabelle 23
Praxisabschläge für die einzelnen Gehörschutzarten
Gehörschutztyp | Korrekturwert KSin dB |
---|---|
Vor Gebrauch zu formende Stöpsel | 9 |
Fertig geformte Stöpsel | 5 |
Bügelstöpsel | 5 |
Kapselgehörschutz | 5 |
Gehörschutz-Otoplastiken mit Funktionskontrolle | 3 |
Auf die Praxisabschläge der Schalldämmung kann verzichtet werden, wenn die Beschäftigten in einer qualifizierten Benutzung unterwiesen worden sind. Dazu muss die Unterweisung mindestens viermal jährlich mit praktischen Übungen erfolgen und dokumentiert werden. Laut TRLV Lärm Teil 3 (Abschnitt 6.3.3) ist die qualifizierte Benutzung verpflichtend ab Tages-Lärmexpositionspegeln von 110 dB(A) durchzuführen.
Für normale Einsatzsituationen muss eine jährliche Unterweisung mit praktischen Übungen durchgeführt werden.
Beispiele für Inhalte einer qualifizierten Unterweisung:
Unterweisungen mit Übungen für Gehörschutzstöpsel
Für den Gehörgang angemessene Größe der Stöpsel auswählen.
Das nötige Zusammenrollen bzw. -drücken von vor Gebrauch zu formenden Stöpseln zeigen.
Darauf hinweisen, dass der Stöpsel nach dem Einsetzen noch eine Zeit gehalten werden muss.
Demonstrieren, wie tief der Stöpsel in den Gehörgang eingesetzt werden muss.
Erläutern, wie lange ein Stöpsel-Paar jeweils genutzt werden darf. (Siehe Abb. 45 a-f )
Abb. 45 a-f
Vorgehensweise beim Einsetzen von zu formenden Gehörschutzstöpseln
Unterweisungen mit Übungen für Kapselgehörschutz
Harte oder eingerissene Kissen austauschen.
Bügel dürfen nicht aufgebogen werden.
Brillenbügel vermindern die Dämmung (evtl. anderen Gehörschutz verwenden).
Auflage auf dickem Haar- oder Bartpolster vermindert die Dämmung.
Bügel vor der Verwendung einstellen.
Kapseln im Lärmbereich ständig benutzen.
Kapseln mit feuchtem Tuch abwischen, nicht unter Wasser tauchen.
Unterweisungen mit Übungen für Gehörschutz-Otoplastiken
Gehörschutz mit einer kleinen Drehung einsetzen.
Gehörschutz-Otoplastik mit einer kleinen Drehbewegung herausnehmen, nicht herausreißen.
Ein Beispiel der Beschriftung, um rechts und links nicht zu verwechseln: linke Seite Blaues L, rechte Seite: rotes R;
Mit dem Reinigungsstift Ohrschmalz aus der Bohrung entfernen.
Volle Wirkung wird nur erzielt, wenn Gehörschutz-Otoplastik ununterbrochen im Lärmbereich benutzt wird.
Die Kordel darf nicht angebracht werden, wenn sie sich verfangen kann.
Unter fließendem Wasser spülen.
Filter ausblasen (aber nicht mit Druckluft).
Otoplastiken im Etui aufbewahren.
Mindestens alle drei Jahre Sitz und Passform prüfen lassen.
Unterweisungen mit Übungen für Bügelstöpsel
Bügelstöpsel sind zu empfehlen, wenn ein häufiges Auf- und Absetzen erforderlich ist.
Sie sollten nicht getragen werden, wenn Schalldruckspitzen durch Anstoßen der Bügel entstehen können.
Bügel von Bügelstöpseln können Formveränderungen unterliegen - Austausch.
Volle Wirkung wird nur erzielt, wenn Gehörschutz ununterbrochen im Lärmbereich eingesetzt wird.
Bügel dürfen nicht aufgebogen werden.
Kapselgehörschützer haben im Allgemeinen bei tiefen Frequenzen eine geringere Schalldämmung als bei hohen Frequenzen. Die ungleiche Dämmung von tiefen und hohen Frequenzen führt meist zu einer schlechteren Sprach- und Signalverständlichkeit.
An Arbeitsplätzen, an denen Kommunikation oder Signalerkennung erforderlich ist, sollte daher der Gehörschutz einen möglichst flachen Frequenzgang haben (= "flache Schalldämmkurve"). Das gilt besonders für Personen mit Hörminderung. In der Positivliste für Gehörschutz wird die extrem flachdämmende Variante für Personen mit Hörminderung mit der Bemerkung "X" gekennzeichnet. Gehörschutz mit der Eignung für Warnsignalhören ist mit "W" gekennzeichnet, sodass die entsprechende Variante schnell zu finden ist.
Die Dämmwerte des auszuwählenden Gehörschutzes sollen zum Geräusch am zugehörigen Arbeitsplatz passen. Für die Berechnung des Restpegels am Ohr wird in Deutschland standardmäßig der HML-Check verwendet. Dazu wird eine Lärmmessung am Arbeitsplatz durchgeführt und die Dauerschalldpegel LA und der LC erfasst. Durch Differenzbildung der beiden Messwerte LA und LC lässt sich überschlägig ermitteln, ob das Arbeitsgeräusch eher tieffrequent oder eher mittel- bis hochfrequent ist.
Tabelle 24
Auswahl von Gehörschutz nach dominierendem Frequenzbereich
Geräuschklasse HM Hoch- bis mittelfrequent | Geräuschklasse L überwiegend tieffrequent |
---|---|
LC - LA ≤ 5 dB | LC - LA > 5 dB |
Brennschneider | Bagger |
Rollenrotations-Hochdruck- | Konverter-Anlagen |
Pressen | Elektro-Schmelzöfen |
Dragiertrommeln | Elektro-Umformersatz |
Rüttelformmaschinen | Kupol-Öfen |
Druckluftdüsen | Feuerungen |
Schlagschrauber Elektro-Nagler | Metall-Druckgießmaschinen |
Schleifmaschinen | Hochofenanlagen |
Falzmaschinen | Planierraupen |
Schmiedehämmer | Kollergänge |
Getränkeabfüllanlagen | Strahlanlagen |
Spinnmaschinen | Kompressor-Anlagen |
Gussputzarbeiten | (Kolben) |
Strick- und Wirkmaschinen | Verbrennungs-Öfen |
Holzbearbeitungsmaschinen | |
Trennschleifmaschinen | |
Honmaschinen | |
Webmaschinen | |
Hydraulikpumpen | |
Zentrifugen |
Abhängig von der Geräuschklasse, die dem Arbeitsplatz zugeordnet wird, arbeitet man bei der Bestimmung der Schalldämmung des Gehörschutzes mit dem L-Wert (bei tieffrequentem Arbeitsgeräusch) oder dem M-Wert (bei hoch- bis mittelfrequentem Arbeitsgeräusch).
Arbeiten Beschäftigte in Bereichen, die verschiedenen Geräuschklassen zuzuordnen sind, wird zunächst ein Gehörschutz der Geräuschklasse HM (hoch-/mittelfrequent) ausgewählt und anschließend geprüft, ob der Tages-Lärmexpositionspegel auch im empfohlenen Pegelbereich für die Geräuschklasse L (tieffrequent) enthalten ist.
Beispiel für den Restexpositionspegel: Bleche werden geschweißt und die Schweißnähte mit einer Winkelschleifmaschine nachbearbeitet.
Angabe zum Lärm:
Tages-Lärmexpositionspegel
LEX,8h= 97 dB(A) hochfrequentes Geräusch (Geräuschklasse HM)
Angabe zum Gehörschutz:
Im Betrieb ist bereits ein vor Gebrauch zu formender Gehörschutzstöpsel zum einmaligen Gebrauch vorhanden. Der M-Wert beträgt laut Packungsbeschriftung 29 dB. Der Korrekturfaktor für Gehörschutzstöpsel lautet:
KS= 9 dB.
Berechnung:
L’EX,8h: am Ohr wirksamer Restexpositionspegel
L’EX,8h= LEX,8h- (M-Wert - KS)
L’EX,8h= 97 dB(A) - (29 dB - 9 dB)
L’EX,8h= 77 dB(A)
Laut Tabelle 24 Schutzwirkung ist der Gehörschutz für diesen Einsatzzweck empfehlenswert.
Hätte sich ein am Ohr wirksamer Restexpositionspegel von weniger als 70 dB(A) ergeben, sollte der Gehörschutz erst nach individueller Prüfung, ob die Kommunikation des Beschäftigten nicht eingeschränkt ist und bei ihm kein Isolationsgefühl aufkommt, angewendet werden.
Tabelle 25
Schutzwirkung
Beispiel für hohe Spitzenschalldruckpegel:
Baugruppen aus Stahlblech werden nach dem Schweißen mit einem schweren Schlosserhammer gerichtet.
1. Angabe zum Lärm:
Spitzenschalldruckpegel:
LpC,peak= 145 dB(C) (Geräuschklasse HM)
2. Angabe zum Gehörschützer:
Im Betrieb ist bereits ein vor Gebrauch zu formender Gehörschutzstöpsel zum einmaligen Gebrauch vorhanden. Der M-Wert beträgt laut Packungsbeschriftung 29 dB. Der Korrekturfaktor für Gehörschutzstöpsel lautet:
KS= 9 dB.
3. Berechnung:
L’pC,peak: am Ohr wirksamer Restspitzenschalldruckpegel
L’pC,peak= LpC,peak- (M-Wert - KS)
L’pC,peak= 145 dB(C) - (29 dB - 9 dB)
L’pC,peak= 125 dB(C)
Laut Tabelle 25 Schutzwirkung ist der Gehörschutz für diesen Einsatzzweck empfehlenswert.
Unterstützung bei der Auswahl von geeignetem Gehörschutz bietet die IFA-Positivliste, enthalten in der DGUV Regel 112-194 "Benutzung von Gehörschutz", Anhang 3 (zum Download unter www.dguv.de (Webcode d554149).
Die Gehörschützer der IFA-Positivliste gewährleisten eine ausreichende Schalldämmung und die Erfüllung sicherheitstechnischer Anforderungen. Außerdem enthält sie die notwendigen Angaben der Hersteller oder Lieferanten für die Berechnung des Restexpositionspegels. Für diese Gehörschützer liegt eine EG-/EU-Baumusterprüfbescheinigung einer notifizierten Stelle vor. Diese Gehörschützer werden vom Hersteller mit der CE-Kennzeichnung versehen.
In der Positivliste ist auch aktiver Gehörschutz enthalten. Bei abgeschalteter Elektronik wirkt er wie herkömmlicher Gehörschutz. Bei eingeschalteter Elektronik werden Schallpegel unter 80 dB(A) verstärkt und über 80 dB(A), insbesondere Impulsspitzen, gedämmt. Es wird auf diese Weise sichergestellt, dass der Schalldruckpegel unter dem Gehörschutz 85 dB(A) nicht überschreiten kann.
Die Sprachverständigung kann bei ungleichförmigen Geräuschen und vor allem in Lärmpausen, im Vergleich zu herkömmlichem Gehörschutz, in den meisten Fällen verbessert werden.